Witten. Pflegende Angehörige geben viel, riskieren nicht selten ihre eigene Gesundheit. Eine Wittener Studie zeigt: Pflegende sind hoch belastet.
Pflegende Angehörige sind nicht nur der Pflegedienst der Nation. Sie leisten auch oft Schwerstarbeit – körperlich wie seelisch. Eine Studie der Uni Witten/Herdecke will herausfinden, was pflegenden Angehörigen fehlt, was sie brauchen. Die ersten Ergebnisse der Studie zeigen, dass sich pflegende Angehörige hoch belastet fühlen und oft das Gefühl haben, allein gelassen zu sein.
Für die Studie, die die Wittener Wirtschaftswissenschaftlerin Prof. Sabine Bohnet-Joschko leitet, nahmen zwischen November 2018 und März 2019 über 1400 pflegende Angehörige an einer Online-Befragung teil. Rund 80 Prozent der Befragen sind Frauen. Ihr Durchschnittsalter: 54. Bohnet-Joschko: „Etwa 57 Prozent der Befragten sind in Teil- oder Vollzeit erwerbstätig.“
Größte Befragung zum Thema im deutschsprachigen Sprachraum
Ausfüllen konnten den Online-Fragebogen Erwachsene, die einen Familienangehörigen, Freund oder Nachbarn regelmäßig pflegen oder betreuen. Nach Angaben der Uni Witten/Herdecke handelt es sich um eine der größten Befragungen zu dieser Thematik im deutschen Sprachraum.
Zwei Drittel der Befragten, die die unter „angehoerigenpflege.info“ gestellten Fragen anonym beantwortet haben, gaben an, durch die Pflegetätigkeit stark bis sehr stark belastet zu sein. Etwa die Hälfte leidet darunter körperlich, über 70 Prozent der Pflegenden fühlt sich stark bis sehr stark emotional belastet. Nur etwa 17 Prozent der Befragten findet die Pflegesituation wenig bis gar nicht belastend.
Allein gelassen mit Sorgen und Anliegen
Studienleiterin Bohnet-Joschko berichtet, dass es auch Anrufe von Menschen gegeben habe, die erzählten, „wie allein gelassen sie sich mit ihren Sorgen und Anliegen fühlen“. Pflegende Angehörige wünschten sich mehr Unterstützung zur Bewältigung der Pflegesituation „und werden viel zu wenig mit ihren eigenen Bedürfnissen gesehen“, so die Wissenschaftlerin.
Pflegende Angehörige wünschten sich Informationen und Beratung auch zum Erhalt ihrer eigenen Gesundheit, zur Vereinbarkeit von Beruf und Pflege, zur finanziellen Absicherung sowie zum Austausch mit anderen Pflegenden und zu Möglichkeiten einer Auszeit von der Pflege.
Informations- und Beratungsangebotesind zu wenig bekannt
„Besonders wenig bekannt und vermutlich deswegen auch kaum genutzt sind Informations- und Beratungsangebote zu den eigenen Bedürfnissen der pflegenden Angehörigen“, betont Prof. Sabine Bohnet-Joschko. Und fügt hinzu: „Hier sehen wir Handlungsbedarf.“
Auch ein wichtiges Ergebnis der Online-Befragung: _Die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege stellt für pflegende Angehörige eine Herausforderung dar. Fast ein Drittel der Befragten gab an, aufgrund der Pflege bei der Suche nach einer Arbeitsstelle eingeschränkt zu sein. Von den Berufstätigen sahen sich über 20 Prozent in ihrer Arbeit beeinträchtigt.
Der Großteil der Pflegenden fühlt sich in seiner Freizeitgestaltung eingeschränkt
Studienergebnisse werden an der Uni vorgestellt
Am Wittener Forschungsprojekt und seinen Ergebnissen haben auch die Pflegekassen und das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW Interesse. Sie unterstützen das Projekt ZipA „Zielgruppenspezifische Unterstützungsangebote für pflegende Angehörige“ finanziell.
Die Studien-Ergebnisse werden am 13. Dezember von Prof. Sabine Bohnet-Joschko auf einer Tagung an der Universität Witten/Herdecke präsentiert.
Was die Befragung auch zeigte: Pflege hat Auswirkungen auf das Privatleben von Pflegenden. Etwa 75 Prozent derjenigen, die bei der Wittener Studie mitwirkten, fühlen sich in ihrer Freizeitgestaltung, rund 68 Prozent in ihrer Privatsphäre eingeschränkt.
Für die Studie werden noch unterschiedliche Gruppen pflegender Angehöriger ausgemacht und mit ihren jeweiligen Bedürfnissen beschrieben. Prof. Sabine Bohnet-Joschko: „Das ist wichtig, um auf dieser Basis Ansatzpunkte für eine zielgruppenorientierte Unterstützung entwickeln zu können.“