Karlsruhe. Ist es mit den Grundrechten vereinbar, Sterbehilfe zu verbieten? Vor dieser schwierigen Frage steht nun das Bundesverfassungsgericht.
Wer sich in Deutschland das Leben nehmen möchte, weil er schwer krank ist, darf dabei nicht auf professionelle Hilfe hoffen. Seit Dezember 2015 ist geschäftsmäßige Sterbehilfe eine Straftat – so steht es im neuen Paragrafen 217 des Strafgesetzbuchs. Aber ist das auch mit den Grundrechten vereinbar?
Am Dienstag und Mittwoch verhandelt das Bundesverfassungsgericht über etliche Beschwerden gegen das Verbot. Geklagt haben schwerkranke Menschen, professionelle Sterbehelfer, Palliativmediziner und andere Ärzte. Das Urteil dürfte frühestens in einigen Monaten verkündet werden. (Az. 2 BvR 2347/15 u.a.)
Sterbehilfe: Welche Argumente haben Kritiker und Befürworter?
Nach Überzeugung des Vereins Sterbehilfe Deutschland ist die Regelung inhuman. Sie verweise Menschen, die ihr Leben wegen einer unerträglicher Krankheit selbst beenden möchten, auf die Unterstützung von Laien, sagte der Bevollmächtigte Bernd Hecker am Dienstag in der Verhandlung in Karlsruhe.
Für viele Betroffene sei ärztliche Unterstützung beim Suizid auch deswegen alternativlos, weil ihnen Verwandte nicht zur Verfügung stehen oder stehen wollen, sagte Christoph Knauer als Bevollmächtigter eines Beschwerdeführers. „Das Gesetz steht in keinem Verhältnis zur Einschränkung des Klägers“, sagte Knauer.
Die beiden Mitinitiatoren des Verbots im Bundestag haben den Paragrafen 217 hingegen verteidigt. Es habe die Gefahr bestanden, dass Suizidbeihilfe zur normalen Dienstleistung wird, sagte die SPD-Abgeordnete Kerstin Griese am Dienstag. Sie erinnerte an die zunehmenden Aktivitäten einschlägiger Vereine wie Sterbehilfe Deutschland oder Dignitas aus der Schweiz.
„Uns geht es um Hilfe beim Sterben, nicht um Hilfe zum Sterben“, sagte sie. Deswegen sei es dem Bundestag wichtig gewesen, parallel den Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung voranzubringen. Der CDU-Politiker Michael Brand ergänzte, es habe gerade mit Blick auf die Schwächeren verhindert werden sollen, dass eine Tür aufgestoßen werde.
„Wir wollen nicht, dass sich Menschen unter Druck gesetzt fühlen.“ Der Blick in Nachbarländer zeige, dass Angebot auch Nachfrage schaffe. Das Gesetz wirke zielgenau und präventiv. Der Brand/Griese-Entwurf hatte sich 2015 im Bundestag in freier Abstimmung ohne Fraktionszwang gegen drei Alternativvorschläge zur Regelung der Sterbehilfe durchgesetzt.
Sterbehilfe: Bis zu drei Jahre Haft
Paragraf 217 verbietet die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“. Bei Verstößen drohen bis zu drei Jahre Haft oder eine Geldstrafe. Der Gesetzgeber wollte damit verhindern, dass Suizidhilfe-Vereine wie Sterbehilfe Deutschland oder Dignitas aus der Schweiz ihre Angebote für zahlende Mitglieder ausweiten und gesellschaftsfähig werden.
„Geschäftsmäßig“ im juristischen Sinne bedeutet nicht gewerblich. Das Verbot soll jede Art von wiederholter Sterbehilfe umfassen, ob kommerziell oder nicht. Angehörige und „Nahestehende“, die einen todkranken Menschen in dessen Sterbewunsch unterstützen und diesen zum Beispiel in die Schweiz fahren, bleiben ausdrücklich straffrei.
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Mehrere schwerkranke Kläger sind während des Verfahrens schon gestorben
Paragraf 217 ist aber auch Palliativmedizinern und anderen Ärzten ein Dorn im Auge. Sie befürchten, sich bei der Behandlung todkranker Menschen strafbar zu machen, oder halten Sterbehilfe bei ausweglosem Leiden für vertretbar. Geklagt haben auch mehrere Schwerkranke, die sich selbst mithilfe eines Sterbehilfe-Vereins das Leben nehmen möchten. Einige von ihnen sind während des langen Verfahrens schon gestorben.
Ein Verfassungsrichter erklärte sich selbst für befangen
Der Zweite Senat unter Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle verhandelt ohne den Richter Peter Müller. Er hat sich für befangen erklärt, weil er in seiner Zeit als saarländischer Ministerpräsident selbst für ein Sterbehilfe-Verbot eingetreten war.
Den achten Platz auf der Richterbank nimmt Johannes Masing aus dem Ersten Senat ein. Mit Spannung wird erwartet, ob sich die Richter zu einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 2017 verhalten.
Gericht: Im Extremfall Medikamente für Suizid nicht verwehren
Darin heißt es, dass der Staat einem unheilbar Kranken „im extremen Einzelfall“ den Zugang zu einem Betäubungsmittel zur Selbsttötung nicht verwehren darf. Das zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat bisher allerdings keinen einzigen Antrag bewilligt.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz hält diese Linie für richtig. „Es kann nicht sein, dass ein Bundesamt die verbotene Arbeit der Sterbehelfer übernimmt“, sagte Vorstand Eugen Brysch der Deutschen Presse-Agentur. Paragraf 217 greife nicht in Grundrechte ein.
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(dpa/cho)