Karlsruhe. Die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ ist seit 2015 verboten – und nun ein Fall für Karlsruhe. Das sagen die Betroffenen.

Wenn man sich so etwas aussuchen könnte, würde Karl B. (Name geändert) am liebsten bei einer Partie Schafkopf tot umkippen. Von einem Moment auf den anderen, ohne Schmerzen, mit einem letzten Blick auf die schönen bayerischen Berge. Aber so läuft es bekanntlich in den wenigsten Fällen, und deshalb hat der 83-Jährige seit längerem vorgesorgt. Als Notausgang, für den Fall der Fälle, dass es wirklich unerträglich werden sollte.

„Es gibt natürlich Mittel und Wege, sich da selber zu helfen“, sagt er. Ein Medikament im Nachtkästchen? „Ich werde mich sicher nicht vor den Zug werfen.“ Mehr sagt B. nicht. Mehr zu sagen ist heikel geworden, deswegen will B., der eigentlich anders heißt, seinen richtigen Namen nicht einmal abgekürzt in den Medien lesen.

„Geschäftsmäßige“ Sterbehilfe ist eine Straftat

Seit Dezember 2015 ist die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ in Deutschland eine Straftat. Der Gesetzgeber hatte professionelle Sterbehelfer im Visier, wie den Hamburger Verein Sterbehilfe Deutschland von Ex-Justizsenator Roger Kusch. Oder den Berliner Arzt Uwe-Christian Arnold, der nach eigenen Angaben mehrere hundert Menschen beim Suizid begleitet hat.

Hintergrund:

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Aber von Paragraf 217 Strafgesetzbuch fühlen sich auch Palliativmediziner bedroht. Das Bundesverfassungsgericht verhandelt von Dienstag an zwei volle Tage (16./17. April) über eine ganze Reihe von Klagen. „Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“, ist der genaue Wortlaut.

Niemand soll sich zum Sterben gedrängt fühlen

Der Bundestag hat es sich 2015 mit dem Thema nicht einfach gemacht. Vier Vorschläge standen zur Auswahl. Die Abgeordneten konnten ohne Fraktionszwang entscheiden. Die Menschen sollen sich nicht an organisierte Formen des Suizids gewöhnen, heißt es in dem Entwurf, der sich durchsetzte. Niemand, der alt oder krank ist, soll sich zum Sterben gedrängt fühlen, weil er der Gesellschaft und seiner Familie nicht zur Last fallen möchte.

Den Politikern geht es erkennbar um Sterbehilfe als Dienstleistung, um Leute, die eine Art Geschäftsmodell daraus machen, Lebensmüden ein tödliches Medikament zu organisieren oder einen Raum zum Sterben. Angehörige oder „Nahestehende“ bleiben straffrei.

Viele todkranke Patienten wollen sterben

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hält Paragraf 217 aus vielen Gründen für verfassungswidrig – unter anderem, weil „geschäftsmäßig“ im Juristendeutsch eben nicht gewerblich bedeutet, sondern so viel wie „auf Wiederholung angelegt“. Geld muss also nicht im Spiel sein.

Matthias Thöns ist regelmäßig mit Sterbewünschen konfrontiert. Der Palliativmediziner betreut in Witten im Ruhrgebiet todkranke Menschen im Hospiz oder daheim. „Dass jemand verzweifelt ist und nicht mehr will, das habe ich bei jedem vierten Patienten, Pi mal Daumen“, sagt er.

Palliativmediziner Thöns klagt in Karlsruhe

Trotzdem ist es für ihn Alltag, Opiate in hohen Dosen zu verschreiben – damit zur Linderung etwas im Haus ist, wenn Atemnot, Schmerzen und Angst übermächtig werden. Potenziell sind diese Medikamente tödlich. Seit es Paragraf 217 gibt, hat Thöns dabei kein gutes Gefühl. „Jetzt nimmt der sich das Leben – ohne mein Wissen und Wollen. Dann habe ich doch ein Ermittlungsverfahren am Bein.“

Hintergrund:

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In den allermeisten Fällen gelingt es Thöns, das Leid seiner Patienten zu lindern. Aber er kennt auch die krassen Ausnahmefälle, in denen die Palliativmedizin an Grenzen stößt. Der 52-Jährige klagt in Karlsruhe, weil er auch diesen Menschen helfen möchte. „Was ich kriminell finde, ist, dass man solche Patienten alleine lässt.“

254 Menschen beim Suizid begleitet

Der Verein Sterbehilfe Deutschland, die selbst in Karlsruhe klagt, ist seit 2018 von Zürich aus über seinen Schweizer Ableger StHD wieder aktiv. „Paragraf 217 verbietet vieles, aber eben nicht alles“, sagt Präsident Kusch. Zahlende Mitglieder aus Deutschland unterstützt StHD laut Statuten nun über „Angehörige oder Nahestehende, die bereit sind, beim Suizid zu assistieren“.

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    Vorbereitet wird alles in der Schweiz. Die tödliche Substanz stelle der Angehörige dann in Deutschland ans Bett. Zahlen will Kusch nicht nennen. Aber: „Es ist schon dazu gekommen. Ich rede hier nicht nur von theoretischen Möglichkeiten.“ Von 2010 bis zum Verbot hat der Verein 254 Menschen beim Suizid begleitet.

    „Verschiebung des Wertesystems“

    Der katholische Berliner Erzbischof Heiner Koch erhofft sich von der Verhandlung dagegen „ein starkes Signal für den Schutz des Lebens“, wie er unserer Redaktion sagte. „Wenn der Suizid als normale Option neben die Begleitung von schwerkranken und sterbenden Menschen gestellt wird, befürchte ich eine Verschiebung des Wertesystems.“

    Konkret sehe er die Gefahr, so der Erzbischof, „dass Menschen gedrängt werden oder sich gedrängt fühlen, von solchen Optionen auch Gebrauch zu machen“. Deshalb sei es richtig, dass der Gesetzgeber diese Formen der Suizidassistenz verboten habe. Als mindestens genauso wichtig bezeichnete er den „gleichzeitigen Ausbau der palliativen und hospizlichen Begleitung von schwerkranken und sterbenden Menschen“.

    Die letzten Wochen waren die schlimmsten

    Karl B. hat nichts mit dem Karlsruher Verfahren zu tun, aber er wäre froh, wenn die Kläger Erfolg haben. Vor zwei Jahrzehnten hat er seine Tochter an den Krebs verloren. Die letzten Wochen auf der Intensivstation waren für ihn und seine Frau die schlimmsten. „Wir hätten uns so gewünscht, dass man sie hätte sterben lassen.“ Vielleicht habe ihn das „bisserl sehr rigoros“ gemacht.

    2011 hat er eine „Freitodverfügung“ ausgefüllt, wie sie die Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) anbietet. Das soll seine Frau vor falschen Verdächtigungen schützen. „Ob ich das jemals mache, weiß ich nicht.“ Aber: „Ich hab alles getan, was für mich möglich ist.“ (dpa/kam)