An Rhein und Ruhr. Roya hatte Probleme bei der Jobsuche, weil sie den Namen einer bekannten Großfamilie trägt. Das ist kein Einzelfall, berichten Sozialarbeiter.

Es war Anfang dieses Jahres, als Roya die Erfahrung machen musste, dass ein Name eine Bürde sein kann. Die 23-Jährige saß in einem Bewerbungsgespräch, und dieses Gespräch drehte sich vor allem um ihren Nachnamen. Sie trägt den Namen einer bekannten libanesisch-stämmigen Großfamilie. Einige Mitglieder dieser weit verzweigten Familie sind durch Straftaten aufgefallen. „Man muss sich die ganze Zeit für diesen Namen rechtfertigen“, klagt Roya. Kein Einzelfall. Menschen werden in Sippenhaft genommen, seit das Thema Clankriminalität so hohe Wellen schlägt und haben Probleme, wenn sie einen neuen Job oder eine Wohnung suchen.

Polizei und Politik werden nie müde zu betonen, dass beileibe nicht alle Mitglieder in libanesisch-stämmigen Familienstrukturen kriminell sind, dass es auch unter ihnen eine Menge Beispiele von Aufstiegsgeschichten und gelungener Integration gibt. Die Zahlen sprechen Bände. Im Großraum Essen sollen zwischen 12.000 und 15.000 Menschen libanesisch-türkischer Herkunft leben. Zwischen 1200 und 1700 gelten als verdächtig, in den vergangenen Jahren Straftaten begangen zu haben. Der weitaus überwiegende Anteil lebt also rechtschaffen.


Royas Eltern kamen 1985 aus dem Libanon in das Ruhrgebiet. Roya ist nicht der richtige Name der modisch gekleideten jungen Frau mit den kurzen schwarzen Haaren, sie hat die Redaktion gebeten, sie nicht identifizierbar darzustellen. „Meine Eltern haben viel Wert auf Bildung gelegt“, erzählt sie. Unter ihren zehn Geschwistern – sie muss etwas lachen, als sie vom Kinderreichtum ihrer Eltern berichtet – sind etliche Akademiker, andere sind Handwerker.

Engagiert in der Jugendarbeit

Die 23-Jährige hat eine Ausbildung zur Erzieherin gemacht, die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen liegt ihr. In Essen hat die Bochumerin zwei Jahre lang ehrenamtlich eine Gruppe von libanesisch-stämmigen Mädchen betreut, jetzt hat sie selbst eine gemischte Gruppe ins Leben gerufen, Jungs und Mädchen. „Wir machen viel Arbeit gegen Antisemitismus, demnächst fahren wir nach Berlin und besuchen dort das Anne-Frank-Zentrum.“ Das ist ihr wichtig, weil, wie sie sagt, manche der Jugendlichen viel zu wenig aufgeklärt seien, und manchmal plumpe Stereotype nachplapperten.

Sich nach der Decke zu strecken reicht aber manchmal nicht. Als sich Roya auf mehrere Stellen für ihr Anerkennungsjahr bewarb, bekam sie nur eine Einladung. Trotz eines guten Zeugnisses, trotz guter Praxisleistungen. Und als sie schließlich im Bewerbungsgespräch saß, musste sie erklären, ob sie Beziehungen zum „Clan“ habe. Ihr Name sei in der libanesisch-stämmigen Gemeinschaft ähnlich verbreitet wie der Name Müller, habe sie geantwortet, und sie sagt: „Ich habe mich angegriffen und verletzt gefühlt.“

Der Vater war schockiert

Ihr Vater sei schockiert gewesen, als sie von dem Gespräch berichtete. „Die können uns doch nicht abstempeln“, habe er gesagt. Wenige Wochen später kam eine Absage. Der Träger, bei dem sie sich beworben hatte, betont in einem Schreiben, dass ihr Name bei der Entscheidung keine Rolle gespielt habe, sie sei aus fachlichen Gründen getroffen worden. Roya glaubt das nicht.

Die Erfahrung der 23-Jährigen deckt sich mit Berichten, die Clara Gsella immer wieder hört. Sie arbeitet beim Integrationsmanagement für Bürger mit libanesischer Zuwanderungsgeschichte der Stadt Essen und betreut drei Frauengruppen. „Die Frauen erzählen häufig davon, dass es Probleme bei der Wohnungssuche gibt. Wenn sie anrufen und ihren Namen sagen, bekommen sie oft keinen Besichtigungstermin.“ Ähnliches geschehen immer wieder bei der Ausbildungsplatzsuche.


Es sind möglicherweise nicht nur die Namen, die Probleme bereiten, räumt Jürgen Serek ein, Gsellas Vorgesetzter. Auch der unsichere Aufenthaltsstatus von vielen Menschen libanesischer Abstammung könne ein Grund für das abweisende Verhalten von Vermietern oder Unternehmern sein. „Wenn unklar ist, ob jemand nach drei Monaten noch in Deutschland ist, fällt es schwerer, eine Wohnung zu vermieten oder einen Ausbildungsplatz zu vergeben.“

Die Erlebnisse frustrieren die Menschen

Klar ist aber: Die Erlebnisse frustrieren die Menschen. „Häufig ist das eine Mischung aus Wut und Hilflosigkeit“, sagt Clara Gsella. Gerade die jungen Frauen in ihren Gruppen seien selbstbewusst, engagierten sich in der Nachbarschaft, sprächen akzentfrei Deutsch und erlebten doch immer wieder diskriminierende Momente. Häufig schämten sie sich, wenn zum wiederholten Mal über Gewalttaten aus dem Clan-Milieu berichtet werde. „Sie wollen nicht mit diesen Leuten in einen Topf geworfen werden.“

Auf der anderen Seite könne die Ablehnung der Mehrheitsgesellschaft auch zu Trotz-Reaktionen führen, warnt Jürgen Serek. Insbesondere unter den jungen Männern. „Manche sagen, wenn wir als kriminell oder gewalttätig abgestempelt werden, dann sind wir eben so.“ Und sobald der Druck auf Familienstrukturen wachse, rückten die Familien enger zusammen. „Das macht die Integration deutlicher schwieriger.“

Sozialarbeiter: Nicht immer mit großen Geschützen feuern

Es wäre klug, überlegt Serek, wenn in der Clan-Debatte nicht immer mit den großen Geschützen gefeuert werde, weil das einfach zu viele Kollateralschäden verursache. „Wir brauchen präzisere Instrumente.“

Für Roya ist die Geschichte am Ende doch noch gut ausgegangen. Sie macht jetzt in ihrer Heimatstadt Bochum ihr Anerkennungsjahr. „Mein Wunsch ist es, ein Familienzentrum zu gründen. Mit einer Kita und einer Jugendbegegnungsstätte“, sagt sie.