Essen. . Eine Analyse des RVR zur Verkehrsstruktur im Ruhrgebiet kommt zu ernüchternden Ergebnissen: „Wer kann, nimmt lieber gleich das Auto.“
Mitten in die aktuelle Debatte um drohende Dieselfahrverbote in Essen und Gelsenkirchen hinein zeigt eine neue Analyse zur Mobilität auf, wie miserabel die Verkehrssituation im Ruhrgebiet ist vor allem im Öffentlichen Personennahverkehr. Die vom Regionalverband Ruhr (RVR) beauftragte Studie internationaler Gutachterbüros kommt zu dem Ergebnis, dass das Verkehrsnetz innerhalb des Reviers deutlich schlechter aufgestellt ist als etwa die weltweite Anbindung des Ruhrgebiets. RVR-Planungsdezernent Martin Tönnes brachte es bei der Präsentation des Papiers am Montag erkennbar ungehalten auf den Punkt: „Es ist leichter, von Essen nach Barcelona zu kommen als nach Dinslaken-Lohberg.“
Die Metropole Ruhr verfüge zwar über umsteigefreie Luft- und Schienenverbindungen zu zahlreichen nationalen und internationalen Regionen, so Tönnes. Innerhalb des Ruhrgebiets dagegen müsse man mehrfach die Verkehrsmittel wechseln oder große Umwege in Kauf nehmen, um Ziele außerhalb der großen Kernstädte angemessen zu erreichen.
Wichtige Ziele sind kaum mit Bussen und Bahn zu erreichen
Laut der 170 Seiten umfassenden Stärken-Schwächen-Analyse stehen dem guten fahrplanmäßigen ÖPNV-Angebot auf der Ost-West-Achse im Kern-Revier „dramatisch schlechte“ Nord-Süd-Verbindungen, fehlende Anbindungen im Schienen-Personen-Nahverkehr und große Entfernungen zu Haltepunkten gegenüber.
Gerade in weniger dicht besiedelten Revierstädten lassen sich demnach wichtige Einrichtungen wie Universitäten, Schulen oder Krankenhäuser schlechter mit dem ÖPNV und mit dem Rad kaum erreichen, so die Gutachter. Zwölf der 53 Revierkommunen verfügen zudem nicht einmal über einen Bahnanschluss, darunter Herten und Bergkamen. Der vergleichsweise hohe Anteil des motorisierten Individualverkehrs im Revier sei direkte Folge dieser Struktur.
Kein Wunder, dass alle Auto fahren
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„Es ist kein Wunder, dass es zu Fahrverboten kommt. Im Ruhrgebiet kann man auf das Auto kaum verzichten“, sagte RVR-Chefplaner Tönnes angesichts der drohenden A40-Sperrung in Essen für ältere Diesel. Eine Stadt allein könne das Luftreinhalteproblem jedoch nicht lösen. Tönnes: „Da gehören Dortmund, Duisburg und Bochum mit an den Tisch.“ Er forderte die Revierstädte zudem auf, ihre Planungskompetenz für den Nahverkehr an den RVR abzutreten. Dies sei rechtlich möglich. Tönnes: „Was wir dringend brauchen, ist ein Nahverkehrsplan, der nicht an Stadtgrenzen endet.
Wir stehen im Stau – oder in vollen Zügen“, brachte RVR-Chefin Geiß-Netthöfel die Lage auf den Punkt. Heißt: Trotz guter Noten für die vergleichsweise dicht getaktete und gut ausgebaute Ost-West-Achse im Kern der Metropole mit ihrem RE/RB/S-Bahn-System, trotz einiger Fortschritt beim Ausbau des Radverkehrs und trotz der überraschend stark ausgeprägten Neigung der Revierbürger, viele Wege zu Fuß zurückzulegen, ist die Gesamteinschätzung desolat. Besonders in Nord-Süd-Richtung werde es im Revier „dramatisch schlecht“, so Tönnes. Vor allem im Vergleich zum Straßenverkehr. ÖPNV-Kunden, die dreimal umsteigen müssten, seien keine Seltenheit. Tönnes: „Wer kann, nimmt da lieber gleich das Auto.“
Und dann kommt noch das Tarifchaos dazu
Wie kompliziert und wenig kundenfreundlich die ÖPNV-Verbindungen im Revier sein können, zeigt die Studie an exemplarischen Fällen: Da ist die Einzelfahrt von Oberhausen-Sterkrade nach Bochum, die 5,90 Euro (Preisstufe B) kostet, unabhängig davon, ob eine Verbindung mit Umstieg in Duisburg, Mülheim, Essen oder Gelsenkirchen gewählt wird. In die Gegenrichtung gilt hingegen die Preisstufe nur bei einer Fahrt über Mülheim, Essen oder Gelsenkirchen.
Wer eine Verbindung mit nur einem Umstieg über Duisburg nehmen will, muss ein Ticket für 12,50 Euro (Preisstufe C) lösen. Wenn der Pendler eine Zeitkarte des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr (VRR) der Preisstufe B mit dem „Zentraltarifgebiet Essen Mitte/Nord“ wählt, kann er nur über Mülheim, Essen oder Gelsenkirchen fahren. Über Duisburg kann er weder auf der Hin-, noch auf der Rückfahrt fahren. Ähnlich komplexe Tarifbedingungen gebe es auch zwischen Bottrop und Haltern über Gladbeck, Essen oder Gelsenkirchen.
Eine Region, zwei Verkehrsverbünde
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Oder das Problem unterschiedlicher Verkehrsverbünde: Die Grenze zwischen dem VRR und dem Westfalentarif zieht sich mitten durchs östliche Ruhrgebiet, mit diversen „Überlappungsbereichen“. Je nach Startort im Ruhrgebiet werden laut RVR-Studie Monatstarife von 120 bis 250 Euro fällig – für etwa gleich lange Strecken beispielsweise zwischen Essen und Dortmund oder Dortmund und Hamm.
Aufbauend auf den Ergebnissen der Studie will der RVR im kommenden Jahr einen Masterplan Mobilität vorlegen. Martin Tönnes: „Wir brauchen den politischen Willen und eine von Bund, Land und der Region getragene Ausbauoffensive.“ Insbesondere beim ÖPNV sei „noch viel Luft nach oben.“