Essen. Bei einem bundesweiten Nahverkehr-Vergleich des Beratungsunternehmens „civity“ kommt das Ruhrgebiet schlecht weg. Verkehrsbetriebe üben Kritik.
Mit diesem Zeugnis sind die Nahverkehrsbetriebe im Revier ganz und gar nicht einverstanden: In einer Studie des Beratungsunternehmens „civity“ hatten insbesondere Duisburg, aber auch Essen und Bochum schlecht abgeschnitten. Zu Unrecht, wie Sprecher der Unternehmen meinen. Sie kritisieren die Methodik der Untersuchung, über die „Die Zeit“ hatte exklusiv berichtet hatte.
Um die Qualität des Nahverkehrs einer Stadt zu bestimmen, "hat Civity in jeder Stadt die Abfahrten aller Busse und Bahnen von allen Haltestellen zusammengezählt und durch die Zahl der Einwohner geteilt", erklärt "Die Zeit" das Vorgehen bei der Studie. Schlusslichter in dem Vergleich sind Duisburg und Köln. Beide Städte sollen den schlechtesten Nahverkehr in Deutschland haben.
EVAG kritisiert ungenaue Rechnung
“Die Rechnung Einwohner durch die Haltestellenabfahrten zu teilen ist sehr ungenau“, beklagt Nils Hoffmann, Pressesprecher der Essener Verkehrs-Ag (EVAG). In Essen würde beispielsweise die Deutsche Bahn 25 Prozent des Schienenpersonennahverkehrs übernehmen.
Es fehle also 25 Prozent der Leistung, die in der Studie gar nicht berücksichtigt werden würde. Zudem verstehe er nicht, warum bei der Übersicht der Abos die Premium-Abos nicht miteinbezogen wurden. Viele Ticketpreise aus dem Ruhrgebiet würden dadurch gar nicht stimmen.
Geschäftsführer von „civity“ widerspricht
Stefan Weigele, Geschäftsführer von „civity“ versichert: „Die von uns angegebenen Abopreise stimmen“ und erklärt „Wir haben in allen Städten mit der günstigsten Abovariante gerechnet, um es vergleichbar zu machen“. Auch Leistungen, welche die Deutsche Bahn an Nahverkehr in Essen übernimmt, seien in der Studie enthalten. „Wir haben sämtliche öffentlichen Verkehrsmittel in den Städten erfasst“, sagt Weigele.
„Die Zeit“ habe auch nur einen Teil der Studie exklusiv erhalten. Die gesamte Studie sei deutlich detaillierter und beziehe zum Beispiel auch die Geschwindigkeiten der verschiedenen Verkehrsmittel und die Siedlungsstrukturen der Städte mit ein.
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Studie rechnet Pendler nicht mit ein
Nach Angaben von Nils Hoffmann hat Essen mit 2.000 Haltepunkten ein sehr gutes Verkehrsnetz und an einem Ausbau des Liniennetzes im Ruhrgebiet würde gearbeitet: "Mit dem Rhein-Ruhr-Express möchte die Landesregierung bis 2025 das Liniennetz weiter ausbauen und die Taktung verbessern." sagt Hoffmann. Im nächsten Jahr soll das Projekt losgehen.
Die Duisburger Verkehrsgesellschaft und die Rheinbahn aus Düsseldorf schließen sich der Kritik der Evag an. Die Methodik, mit der die Studie arbeite, sei nur schwer nachzuvollziehen. "Ich finde die Rechnung echt schwierig. In so starker Vereinfachung reicht das nicht. Es müssen viel mehr Parameter einbezogen werden", sagt Georg Schumacher, Sprecher der Rheinbahn.
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Man müsse beispielsweise schauen, wo sich die Haltestelle befindet. Ob in einem Ballungsgebiet mit vielen Häusern, an einer kleinen Straße oder einem Sportplatz. In Düsseldorf würden darüber hinaus täglich tausende Pendler die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen. Diese würden bei der Berechnung gar nicht einbezogen werden.
Doch auch er sieht Verbesserungspotenzial: Das Streckennetz soll ausgeweitet werden, es sollen Metrobusse zum Einsatz kommen die fast so gut und schnell sind wie die Straßenbahnen. Und es werde über Ampelschaltungen nachgedacht, die Bahnen Vorrang vor Autos geben. Schumacher räumt ein: "Wir sind knackig teurer geworden." Aber die Höhe der Preise würden sie gar nicht festlegen, sondern die Städte und der Verkehrsverbund.
Stefan Weigele erklärt, dass die Rechnung Haltestellenabfahrt pro Fläche oder Einwohner aus der Schweiz komme und seit Jahrzehnten damit gerechnet werde. Dem Vorwurf, dass die Pendler nicht miteinbezogen wurden, entgegnet er: "Die Pendler kann man durchaus noch mit einbeziehen. Aber auch dies würde das Bild nicht grundlegend verändern, da alle verglichenen Städte ihr Pendleraufkommen haben."
Ticketpreise bei zwei Drittel der untersuchten Städte gestiegen
Laut der Studie sind die Ticketpreise für Bus und Bahn in Duisburg überdurchschnittlich teuer und die Revierstädte hätten im Vergleich ein schlechter ausgebautes Verkehrsnetz. Dortmund liegt im Mittelfeld. Düsseldorf und Wuppertal stehen im Vergleich etwas besser da. Den besten Nahverkehr in Deutschland sollen Potsdam, Dresden und Bonn haben.
Bei zwei Drittel der 50 untersuchten Städte soll nach Angaben der Studie der Ticketpreis für den Nahverkehr im Jahr 2016 oder 2017 angestiegen sein. Spitzenreiter ist demnach Potsdam mit einem Anstieg von 9,5 Prozent. In Bielefeld sollen die Preise um 4 Prozent erhöht worden sein. “Beim VRR sind die Preise Anfang des Jahres um durchschnittlich 2,3 Prozent gestiegen“, sagt Dino Hoffmann, Pressesprecher vom Verkehrsverbund Rhein-Ruhr.
Im Osten besser ausgebautes Verkehrsnetz als im Westen
Für die Fahrten im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) wenden die Verkehrsunternehmen durchschnittlich rund 163 Cent auf. Das sind 9,5 Prozent mehr als vor zehn Jahren, teilt der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen mit. Und mit jährlich rund 12 Milliarden Euro Einnahmen aus der Fahrgastbeförderung und einem Kostendeckung von etwa 76 Prozent sei der ÖPNV in Deutschland effizienter und wirtschaftlicher als in den meisten anderen Ländern weltweit.
Der Osten kommt bei der Studie deutlich besser weg, als der Westen. Schumann sieht als Ursache die Politik vor Ort. Jahrelang sei Kommunalpolitikern in der Region das Auto und der Ausbau der Straßen am wichtigsten gewesen. Im Osten habe man mehr auf die öffentlichen Verkehrsmittel gesetzt. Das habe sich bis heute nicht großartig geändert. “Das Kernproblem ist die ewige Autopriorisierung. Das muss man beenden. Und das lieber heute als morgen" fordert Schumacher.
Anmerkung der Redaktion: Die Aussagen von Stefan Weigele, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens „civity“, wurden nachträglich ergänzt.