Essen. . Seit Wochen streiken Beschäftigte der Universitätskliniken Essen und Düsseldorf für mehr Personal und Entlastung. Verdi fordert 200 neue Stellen.
Es ist kein besonders stressiger Tag, als sich die 53-jährige Krankenschwester Petra Müller* entscheidet, zum ersten Mal in ihrem Leben zu streiken.
Seit über 30 Jahren arbeitet Müller am Uniklinikum Essen, derzeit im OP. Eine Schicht dauere achteinhalb Stunden, achteineinhalb Stunden „Arbeit wie am Fließband“, sagt sie: Bis zu 16 kleinere Eingriffe oder acht aufwendigere Operationen am Stück, keine Zeit zum Hinsetzen, nur für ein paar Schlucke Wasser, das Butterbrot bleibt unangetastet. „Ich habe noch nie für irgendetwas demonstriert“, sagt Müller. „Ich liebe meine Arbeit, ich bin Krankenschwester mit Leib und Seele wie schon meine Großmutter.“ Aber an diesem Arbeitstag habe sie gedacht: „Jetzt musst du raus und streiken.“
„Wir sind am Ende“
Seit Juni dauert der inzwischen knapp 20-tägige Warnstreik mit Unterbrechnungen am Uniklinikum Essen an – einem Krankenhaus, das mit über 6000 Beschäftigten, einer Viertel Million Patienten im Jahr und einer hoch spezialisierten Medizin ein wichtiger Versorger in der Region und Ausbildungsstätte von Jungmedizinern für ganz NRW ist. Bis zu 200 der 2400 Pflegekräfte, dazu Fahrer, Erzieher aus der Klinik-Kita und Laborkräfte beteiligen sich. Sie fordern Entlastung und mehr Personal. Heute soll feststehen, ob das Klinikum unbefristet bestreikt wird – als zweites in NRW: Bereits seit Juli wird das Düsseldorfer Uniklinikum ununterbrochen bestreikt.
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„Wir sind am Ende“, sagt Müller. „Wenn jetzt nichts passiert, wird unser Beruf kaputt gemacht.“ Die 53-Jährige berichtet von immer mehr Patienten im Jahr, um die sich zu kleine Teams kümmerten. Der Krankenstand sei hoch, es gebe viele Überstunden und Anrufe zu Hause, wenn sie wieder mal für Kollegen einspringen müsse. Vor den Patienten lasse sie sich das nicht anmerken. „Sie können nichts dafür, man steckt die Faust in die Tasche“, so Müller. Das könne nicht jeder. „Wir streiken auch für die Patienten, die ein Recht auf gute Versorgung haben.“
Verdi fordert bundesweit 80 000 neue Stellen in der Pflege
Bundesweit klagen Pflegekräfte über eine zu hohe Arbeitsbelastung. Laut Verdi müssten bundesweit 80 000 Stellen geschaffen werden, um Abhilfe zu schaffen. Für Essen und Düsseldorf steht die Forderung von 200 Stellen im Raum. Wolfgang Cremer von Verdi NRW nennt weitere Sofortmaßnahmen: „Wir wollen Personaluntergrenzen für alle Stationen festschreiben und per Tarifvertrag festlegen, wie die Kliniken im Falle von Personalengpässen reagieren müssen.“
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Prof. Jochen A. Werner, Ärztlicher Direktor der Uniklinik Essen, sagt, er habe „absolutes Verständnis für das Grundanliegen“ der Beschäftigten. „Mich ärgert aber, dass sich diese Situation seit vielen Jahren angekündigt hat und die Politik viel zu lange nicht reagiert hat.“ Die Klinik habe seit 2016 rund 150 Stellen in der Pflege geschaffen. Aber: „Sie sind noch nicht alle besetzt, weil die Fachkräfte am Markt fehlen.“ Am Klinikum gebe es 450 Azubis, ab Herbst mehr.
Psychische Belastung für Ärzte
Der bisherige Warnstreik in Essen hatte weitreichende Folgen: OPs wurden abgesagt, Behandlungen verschoben, Stationen geschlossen. Die Situation werde sich bei einem kontinuierlichen Streik verschärfen: „Dann werden wir einen Teil schwerst kranker Menschen nicht mehr behandeln können.“ Dazu gehörten trotz eines mit Verdi ausgehandelten Notdienstes auch Tumor-Behandlungen. „Die Ärzte stehen unter einer ganz besonderen psychischen Belastung, denn sie sind es, die entscheiden müssen, wer bei uns behandelt werden kann“, sagt Werner.
Gespräche zwischen der Tarifgemeinschaft der Länder, den Kliniken und Verdi sind in der vergangenen Woche zwar abgebrochen worden. In dieser Woche soll im Hintergrund weiter nach Lösung gesucht worden sein. Ein Sprecher des NRW-Gesundheitsministeriums ist guter Dinge: In diesem Jahr seien in vielen Tarifkonflikten gute Lösungen gefunden worden, die für beide Seiten tragfähig seien. „Wir sind sicher, dass dies auch hier möglich ist.“
Krankenschwester Petra Müller beobachtet das genau. Sie fürchtet um ihren Berufsstand: „Wenn ich heute jung wäre, ich würde wohl was anderes machen.“