Essen. . Die Essener Mercator-Stiftung unterstützt Institute in Berlin und im Ausland. Schwerpunkt der Millionenförderung aber ist das Revier.

Noch sind die Spuren letzter Bautätigkeit nicht zu übersehen. Vor einem knappen Jahr zog die Mercator-Stiftung an diesen Ort. Das zuvor entkernte 50er-Jahre-Bürogebäude steht an einer breitspurigen Alleestraße gegenüber dem Essener Aalto-Theater. Eine respektable Adresse. Aber eine, die nicht zu dick aufträgt. Dass von hier Jahr für Jahr Stiftungsgelder in zweistelliger Millionenhöhe zugunsten von Wissenschaft, Bildung und Völkerverständigung ausgeschüttet werden, erkennt man höchstens auf den zweiten Blick.

Keine Frage: Verglichen mit altehrwürdigen Vertretern der Gattung trägt die Mercator-Stiftung den Pelz eher nach innen. Umzug und neues Domizil dürfen nun als Signal einer vorsichtigen Öffnung verstanden werden. Die Essener wollen künftig mehr aus der Deckung treten. „Mercator 2020 – Perspektiven öffnen, Chancen ermöglichen“ heißt die Strategie.

Auf Augenhöhe mit Bosch und Bertelsmann

Mercator ist vergleichsweise jung, hat sich aber innerhalb zweier Jahrzehnte in der bundesdeutschen Stiftungswelt weit nach oben geschoben. Gemessen an der Finanzkraft sieht der kaufmännische Geschäftsführer der Stiftung, Markus Piduhn, die Essener auf Augenhöhe mit so klangvollen Stiftungsnamen wie Bosch oder Bertelsmann. Und die viel bekanntere Essener Krupp-Stiftung ist im inoffiziellen Stiftungs-Ranking deutlich kleiner.

Gegründet wurde Mercator 1996 durch die Duisburger Unternehmerfamilie Schmidt, Miteigentümer der Düsseldorfer Metro-Gruppe. Anders als sonst üblich trägt die Stiftung weder den Namen der Stifter-Familie noch den der Unternehmensgruppe. Namensgeber ist vielmehr der Vater der modernen Kartografie, der Duisburger Geograf Gerhard Mercator (1512 bis 1594). Das alles ist kein Zufall. „Mit der Metro-Gruppe gibt es keinerlei Berührung“, betont Geschäftsführer Piduhn. „Wir sind nicht abhängig von der Ertragslage eines Unternehmens.“ Das Fördervolumen speist sich ausschließlich aus Zinserträgen des in einer weiteren Stiftung eingebrachten Privatvermögens der Stifterfamilie. Über 60 Millionen Euro stehen der Mercator-Stiftung dadurch jährlich für Förderzwecke zur Verfügung, hinzu kommt ein weiterer zweistelliger Millionenbetrag für die Verwaltung.

Die Stiftung ist inzwischen zu einem mittelständischen Arbeitgeber herangewachsen. Zusammen mit allen Partnergesellschaften beschäftigt Mercator allein am Stammsitz Essen 320 Mitarbeiter, am Zweitsitz Berlin sind es weitere 60. In der Hauptstadt unterhalten die Essener zwei Denkfabriken zu den Themen Verkehrs- und Energiewende. Außerdem ist Berlin Sitz des Mercator-Instituts für China-Studien, eines der weltweit wenigen seiner Art, das sich mit wissenschaftlichem Anspruch der gegenwärtigen Situation im Reiche der Mitte widmet und die Bundesregierung in ihrer China-Politik berät.

Berlin ist für Mercator ein wichtiger Standort. Das liegt beim Förder-Schwerpunkt Internationale Verständigung auf der Hand. Das Herz der Stiftung schlägt aber im Revier. Die Stiftung hat ihren Sitz in Essen, das soll ausdrücklich als Bekenntnis verstanden werden. „Das Revier ist die Heimat unserer Stifterfamilie. Seiner Entwicklung fühlen wir uns besonders verpflichtet“, sagt Winfried Kneip. Er ist Sprecher des Geschäftsführer-Quartetts und verantwortet den Bereich Kulturelle Bildung und Integration. Neben ihm und dem Mann für die Bilanzen Markus Piduhn tragen außerdem Wolfgang Rohe (Wissenschaft) und Michael Schwarz (Internationale Verständigung) Gesamtverantwortung.

Geld für Hochschulen und Kinderstuben

Ruhrgebietsthemen liegen den Mercator-Verantwortlichen besonders am Herzen. Etwa die Förderung der Hochschulen. Das Mercator Research Center Ruhr (MERCUR) gilt als wichtiger Impulsgeber für die Zusammenarbeit der drei Revier-Universitäten Bochum, Dortmund und Duisburg-Essen. Die seit zehn Jahren bestehende Universitätsallianz Ruhr zählt nach Einschätzung von Wolfgang Rohe mittlerweile zu den bestfunktionierenden Hochschulkooperationen in Deutschland. Allein für MERCUR hat die Mercator-Stiftung 42 Millionen Euro für einen Zeitraum von zehn Jahren bewilligt. Mit dem Projekt „Ruhr-Futur“ will Mercator zudem Defizite in der Bildungslandschaft im Revier abbauen und die Bildungsteilhabe von Kindern und Jugendlichen aus bildungsfernen Schichten verbessern helfen. Gefördert wird unter anderem das Modell „Kinderstuben“ für vernachlässigte Kleinkinder in der Dortmunder Nordstadt.

Seit Kurzem bewegt sich die Stiftung auch auf einem diplomatisch verminten Feld. Mit der 2014 ins Leben gerufenen deutsch-türkischen „Jugendbrücke“ wollen die Essener den praktisch nicht vorhanden Schüleraustausch mit der Türkei in Gang setzen. Mit Erfolg: 4500 Begegnungen konnten vermittelt werden. Allerdings gehe das Interesse derzeit deutlich zurück. Besonders auf deutscher Seite.

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Gründer der Mercator-Stiftung ist die Handels- und Unternehmerfamilie Karl Schmidt aus Duisburg mit starkem Bezug zu Essen: Der erste Metro-Großmarkt wurde 1963 im Essener Stadtteil Vogelheim eröffnet.

Derzeit arbeitet die Stiftung mit 13 Partner-Gesellschaften zusammen, unter anderem mit der Zukunftsakademie NRW in Bochum. Auch das Thema Klimawandel ist ein Mercator-Förderschwerpunkt.