Essen. . Noch nie gab es in NRW so viele Studenten wie jetzt. Die Zahl der Professoren allerdings stagniert. Eine alte Verordnung verhindert neue Stellen.
In Nordrhein-Westfalen studieren so viele junge Menschen wie noch nie. Mehr als 760.000 Studierende sind an den Hochschulen des Landes eingeschrieben, gegenüber 2005 eine Steigerung von rund 60 Prozent. Damals zählten die Hochschulen in NRW rund 470.000 Studenten. Im vergangenen Wintersemester drängten erneut über 100.000 Erstsemester in die Hörsäle, damit blieb die Zahl der Studienanfänger auch zwei Jahre nach dem doppelten Abiturjahrgang auf hohem Niveau. „Die Studierneigung unter den Schulabsolventen nimmt weiter zu“, stellt Prof. Gerhard Sagerer fest, Rektor der Uni Bielefeld und als Vorsitzender der Landesrektorenkonferenz (LRK) Sprecher aller NRW-Unis.
Zwar begrüßt er die anhaltende „Lernlust“ der Jugend ausdrücklich, doch blieb die Zahl der Professoren während des Studentenbooms nahezu gleich. Ein Hochschullehrer muss sich daher um immer mehr Studierende kümmern.
NRW-Professoren betreuen im Schnitt 93 Studenten
In NRW ist dies besonders gravierend, das Land belegt im Vergleich der Bundesländer den letzten Platz. Betreute ein Professor in NRW im Jahr 2010 noch 70,43 Studierende, sind es aktuell im Durchschnitt 93. Damit liegt NRW deutlich über dem Bundesschnitt von zuletzt 72 Studierenden je Professor. NRW, das bundesweit die meisten Studenten ausbildet, drohe bei der Studienqualität weiter abgehängt zu werden, mahnen Kritiker.
So weit würde Prof. Sagerer nicht gehen, doch auch er sieht ein wachsendes Problem. „Die Studierenden schauen bei ihrer Entscheidung für einen Studienort auf diese Kennzahl.“ Wo das Betreuungsverhältnis schlecht ist, befürchten sie lange Studienzeiten, überfüllte Hörsäle und hohe Abbrecherquoten. „Ein Professor kennt ja seine Studenten gar nicht mehr“, so Sagerer.
Sehr hohe Nachfrage nach Studienplätzen
Zwar würdigt der LRK-Vorsitzende die Anstrengungen des Landes, mehr Geld in das System zu pumpen: „NRW hat mehr für die Hochschulen getan als andere Bundesländer“, stellt er fest. Aber: „Wir haben eine sehr hohe Nachfrage nach Studienplätzen, darauf haben die Hochschulen mit großen Anstrengungen reagiert.“ Die Unis könnten aber nicht unbegrenzt mehr Professoren einstellen, das Geld müsse an anderer Stelle wieder eingespart werden. Nötig sei daher eine verbesserte und langfristige Finanzierung.
Und eines beschäftigt die Rektoren ganz besonders: Selbst wenn eine Uni mehr Professuren für einen stark nachgefragten Studiengang einrichtet, müsste sie zugleich entsprechend mehr Studierende aufnehmen. Die Betreuungsrelation würde sich somit nicht verbessern – ein Nullsummenspiel.
Kapazitätsverordnung stellt Unis vor Probleme
Ursache dafür ist die ungeliebte Kapazitätsverordnung, die in den 70er-Jahren erfunden wurde, um eine maximale Auslastung der Hochschulen zu garantieren. Diese KapVo besteht aus einem komplizierten Rechenvorgang, der jährlich für jeden Studiengang die nötige Betreuungsrelation ermittelt. Dabei definiert der vom Landesministerium festgesetzte „Curricular-Wert“, wie viele Lehrstunden in einem Fach notwendig sind, um einen Studenten auszubilden. Viele Bundesländer gehen so vor.
Dieser Wert ist in Massenfächern wie BWL oder Jura niedriger als etwa in Informatik oder Medizin. So werden die Aufnahmekapazitäten für Studienanfänger und zugleich die Lehrauslastung der einzelnen Fachbereiche errechnet. Dort, wo die Relation in Schieflage gerät und die Nachfrage deutlich höher ausfällt als erwartet, greifen örtliche Zulassungsbeschränkungen, also der bekannte Numerus Clausus.
Kaum flexible Planung von Studiengängen
Was so bürokratisch klingt, ist es auch. Seit langem fordern Rektoren eine Reform oder gar die Abschaffung der KapVo. Denn sie friert die Betreuungsrelation an der Belastungsobergrenze ein. Eine selbstständige und flexible Planung und Gestaltung von Studiengängen und Zulassungszahlen ist den Hochschulen kaum möglich. Einige Bildungsexperten fordern deshalb seit langem, die KapVo rundweg abzuschaffen und das Lehrangebot stärker als bisher an der Nachfrage auszurichten.
Auch Prof. Sagerer befürwortet eine Reform des komplizierten Kapazitätsrechts. Vor dem Hintergrund langfristig hoher Studierendenzahlen fordert er die Politik auf, sich gemeinsam mit den Hochschulen der Situation zu stellen, um auch in Zukunft eine gute Studienqualität zu sichern. Dazu sei mehr verstetigtes Geld nötig, aber auch eine Reform der leidigen KapVo. „Ich halte dieses Regelungswerk nicht mehr für zeitgemäß.“
>>Hochschulen erhalten mehr Geld vom Land
Das Land verweist darauf, dass über den Hochschulpakt jährlich gut eine Milliarde Euro zusätzlich an die Hochschulen fließt. Die Hälfte davon soll in Personal investiert werden. Diese zunächst befristeten Mittel sollen im Zuge der „Hochschulvereinbarung 2021“ Schritt für Schritt verstetigt werden. So erhalten die Hochschulen bis 2021 insgesamt 250 Millionen Euro zusätzlich.