Essen. . Wissenschaftsministerin Schulze spricht im Interview über das Dickicht an Studiengängen und darüber, warum Trumps Politik eine Chance für NRW ist

Um 50 Prozent stieg der Etat für Hochschulen und Kliniken in NRW seit 2010 auf 6,4 Milliarden Euro. Warum NRW-Wissenschaftsministerin Svenja Schulze (SPD) trotz dieser enormen Ausgaben auf Studiengebühren verzichten will und weshalb sie in der Forschungspolitik des neuen US-Präsidenten auch eine Chance für NRW sieht, erklärt sie im Gespräch mit WAZ-Chefredakteur Andreas Tyrock und den Redakteuren Matthias Korfmann und Christopher Onkelbach.

Es gibt inzwischen so viele Studiengänge, dass junge Leute gar nicht mehr wissen, was sie studieren sollen. Kann man den Dschungel lichten?

Svenja Schulze: Es gibt rund 2100 Studiengänge in NRW, und ich finde, das sind zu viele. Ein Schulabgänger hat es heute schwer, den für ihn richtigen Studiengang zu finden. BWL gibt es inzwischen an jeder Hochschule mit einem anderen Schwerpunkt. Wir müssen dieses Problem mit den Hochschulen angehen, um die Zahl der Studiengänge zu reduzieren oder zumindest die gröbsten Auswüchse zu bekämpfen.

Zum Beispiel?

Es gab sogar mal außerhalb von NRW einen Studiengang „Management of Coffee Making“ extra für eine große US-Kette. So etwas ist nicht in Ordnung. Ein Studium muss breites Wissen vermitteln, nicht nur Spezialkenntnisse für einzelne Unternehmen.

Die Revier-Universitäten haben ein Vertretungsbüro in New York. Wird die Regierung Trump die Kontakte der NRW-Unis in die USA beeinflussen?

Was man aus den USA hört, ist erschreckend. Manche Forschung wird von der dortigen Regierung gar nicht mehr gewollt. Das Förderprogramm für die Geisteswissenschaften ist sofort eingestellt worden. Klimaforscher sichern eilig ihre Daten, weil auch diese Forschung nicht mehr erwünscht ist. Wir bedauern diese Entwicklung sehr, aber wir hoffen auch, dass es uns jetzt leichter fällt, herausragende Wissenschaftler nach Deutschland zu locken.

Das heißt, die NRW-Wissenschaft könnte von der politischen Entwicklung in den USA profitieren?

Ja, das Verbindungsbüro der Ruhrgebiets-Universitäten in New York ist nun noch wichtiger geworden. Wir werben verstärkt um amerikanische Wissenschaftler und um solche, die in die USA gegangen sind und nun an eine Rückkehr denken. Da hilft es, dass es in NRW schon lange ein erfolgreiches Rückkehrer-Programm gibt.

Baden-Württemberg will Studiengebühren für Nicht-EU-Ausländer einführen. Ein Modell für NRW?

Svenja Schulze (SPD), seit 2010 NRW-Wissenschaftsministerin, setzte ein rot-grünes Großprojekt um: die Abschaffung der Studiengebühr 2011. Foto:Sebastian Konopka
Svenja Schulze (SPD), seit 2010 NRW-Wissenschaftsministerin, setzte ein rot-grünes Großprojekt um: die Abschaffung der Studiengebühr 2011. Foto:Sebastian Konopka

Nein. Wir wollen keine Studiengebühren. Vermutlich ist das in Baden-Württemberg der Einstieg in allgemeine Gebühren. Nur für die Nicht-EU-Ausländer lohnt sich der Verwaltungsaufwand doch gar nicht. In NRW wollen CDU und FDP die Wiedereinführung des kostenpflichtigen Studiums, die SPD lehnt das ab. In einer Zeit, in der wir mehr Fachkräfte brauchen, dürfen wir Menschen nicht mit Gebühren vom Studieren abschrecken. Bildung muss gebührenfrei sein, und zwar vom Kindergarten über Schule bis zum Studium. Wir wollen auch, dass der Weg zum Meistertitel gebührenfrei wird.

Bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung liegt NRW im Ländervergleich weit zurück. Das Land gibt nur knapp zwei Prozent vom Bruttoinlandsprodukt aus, Bayern mehr als drei. Verpasst NRW den Abschluss?

Die Statistik ist irreführend. Die Gesamtausgaben für Forschung und Entwicklung speisen sich aus Investitionen der öffentlichen Hand und der Wirtschaft. In NRW gibt der Staat einen Euro, den zweiten die Wirtschaft. In Baden-Württemberg aber investiert die Industrie sehr viel mehr, hier beträgt das Verhältnis eins zu vier, in Bayern etwa eins zu drei. In NRW ist die Wirtschaft eben nicht so forschungsstark. Das Land gibt mit einem Wissenschaftsetat von insgesamt 8,45 Milliarden Euro bundesweit die größte Summe für diesen Bereich aus.

Die Hochschulen platzen aus allen Nähten, zugleich muss in NRW ein Professor so viele Studenten betreuen wie in keinem anderen Bundesland. Ist das zukunftsfähig?

Die Betreuungsrelation zwischen Professoren und Studenten ist keine geeignete Kennziffer für die Qualität der Lehre. Die Hochschulen verfügen über einen Globalhaushalt. Es ist ihre Sache, die Qualität der Ausbildung zu sichern und ausreichend Personal einzustellen. Das Verhältnis von Angebot und Nachfrage wird in NRW durch die Kapazitätsverordnung sichergestellt. Sie regelt, wie viele Studenten ein Studiengang aufnehmen kann. Wo dies in Schieflage gerät, greift ein lokaler Numerus Clausus. Die Zahl der NC-Studiengänge sinkt in NRW seit einigen Jahren. Die Kopfzählung beim Lehrpersonal sagt wenig aus.

Das Handwerk klagt über fehlenden Nachwuchs. Ist es sinnvoll, dass mittlerweile 50 Prozent eines Jahrgangs ein Studium beginnen?

Das ist keine Entscheidung, die von der Politik getroffen werden sollte. Das hat die DDR gemacht und ist damit untergegangen. Wir wollen Eltern und Kindern da nicht reinreden. Die Kammern, das Handwerk und die Hochschulen werben um die jungen Leute. Da muss jeder ein attraktives Angebot machen und eine hohe Qualität bieten. Wir brauchen beides: gute Fachkräfte und Hochschulabsolventen.

>> Zur Vita: Germanistin und Unternehmensberaterin

Die Sozialdemokratin Svenja Schulze wurde 1968 in Düsseldorf geboren. In Bochum studierte sie Germanistik und Politikwissenschaften und arbeitete in der Unternehmensberatung. Schulze ist seit 1997 mit vier Jahren Unterbrechung Landtagsabgeordnete und seit 2010 Wissenschaftsministerin. Bei den Landtagswahlen 2012 gewann sie, anders als zwei Jahre zuvor, das Direktmandat in ihrem Wahlkreis Münster II – mit 40,1 Prozent.