Kabul. Die USA wollen vermehrt Mitarbeiter des US-Geheimdienstes CIA in Afghanistan gegen die Taliban einsetzen. Die ISAF-Truppen stünden mittlerweile mit dem Rücken zur Wand, heißt es aus Offizierskreisen. Ein Bundeswehr-General beklagt die schlechte Ausrüstung.
Die Aktivitäten des US-Geheimdienstes CIA in Afghanistan sollen nach Informationen der «Los Angeles Times» erheblich ausgeweitet werden. Zusätzlich zu den bereits in Afghanistan tätigen 700 CIA-Agenten würden weitere Teams aus Spionen an den Hindukusch entsandt, berichtete das Blatt in seiner Samstagsausgabe. Damit werde die Geheimdienst-Aktivität in Afghanistan auf das Niveau zu Zeiten des stärksten Engagements bei den Kriegen in Vietnam und im Irak ausgeweitet. Die CIA-Mission wird parallel zur allgemeinen Präsenz von US-Truppen verstärkt, die bis zum Jahresende auf 68.000 Mann verstärkt werden sollen.
Die CIA-Agenten sollen ihre Anstrengungen verstärken, Telefonate mitzuhören und E-mails auszuwerten. Hintergrund ist dem Blatt zufolge eine Bedrohungsanalyse, die davon ausgeht, dass die radikal-islamischen Taliban eine stärkere Position haben als je zuvor seit ihrer Entmachtung durch den US-Einmarsch in Kabul Ende 2001. «Sie scheinen niemals an Personalstärke zu verlieren», sagte eine Mitarbeiter des US-Verteidigungsministeriums der «Los Angeles Times». «Und sie scheinen niemals an finanzieller Unterstützung zu verlieren.»
Taliban-Kommandeur „Der Schlächter“ ist tot
Ein wegen der Enthauptung seiner Gegner berüchtigter Taliban-Kommandeur ist in einem pakistanischen Gefängnis gestorben. Sher Muhammad Qasab erlag nach Behördenangaben am Sonntag seinen Verletzungen, die er bei seiner Gefangennahme in der vergangenen Woche erlitten hatte. Der Mann hatte den Beinamen «der Schlächter».
Qasab war in der vergangenen Woche im Swat-Tal gefangengenommen worden. In einem Gefecht mit den pakistanischen Sicherheitskräften wurden seine drei Söhne getötet. Er stand auf der Liste der zehn meistgesuchten Aufständischen im Swat-Tal, auf seine Ergreifung war eine Belohnung von umgerechnet 82.000 Euro ausgesetzt.
ISAF-Truppen stünden mit dem Rücken zur Wand
Die amerikanische Armee will in Afghanistan mit einer neuen Strategie jetzt «möglichst viel selbst steuern». Das erfuhr die Nachrichtenagentur ddp am Wochenende aus Offizierskreisen in Washington. Die ISAF-Truppen stünden am Hindukusch wegen der «immer mächtiger werdenden Taliban mit dem Rücken zur Wand», sagte ein US-General. «Wir müssen das Ruder mit aller Macht herumreißen, sonst ziehen wir den Kürzeren». So ein «unglückliches Vorgehen, wie es die Bundeswehr am 4. September in Kundus gezeigt hat, darf nicht wieder vorkommen», meinte der US-Offizier.
Nach ddp-Informationen will der neue Oberkommandierende für die ISAF-Truppen, US-General Stanley McChrystal, am 6. Oktober, also neun Tage nach der Bundestagswahl, mit seinem Stab Berlin besuchen. In der afghanischen Hauptstadt Kabul wurde bereits darauf hingewiesen, dass McChrystal schon dabei sei, das Oberkommando der ISAF nach «amerikanischen Prinzipien neu zu strukturieren». Besonders McChrystal fordert eine neue Strategie für den Kampf gegen die Taliban. Einzelheiten darüber wurden noch nicht bekannt.
Offiziere der Bundeswehr sprechen schon von einer «totalen Amerikanisierung» des ISAF-Einsatzes. Aus Geheimdienstkreisen war zu erfahren, die Amerikaner wollten «wesentlich mehr Befehlsstränge an sich ziehen, um das Vorgehen gegen die Taliban ausschließlich nach ihren Vorstellungen zu gestalten».
Darüber hinaus hat McChrystal nach Darstellung von Offizieren des Pentagon in einem Geheimpapier Präsident Barack Obama wissen lassen, dass es ohne eine erhebliche Aufstockung der US-Truppen und der NATO-Einheiten in Afghanistan «keinen positiven Ausgang» des Einsatzes am Hindukusch geben könne. Es wird erwartet, dass McChrystal bei seinen Gesprächen in Berlin «ähnliche Überlegungen» vorbringen wird. Die Bundesregierung hat bisher jede Erhöhung der Truppenstärke über die vom Bundestag gebilligten 4 500 Mann abgelehnt. In Berlin wird jedoch «unter dem »Druck der USA« eine Aufstockung um 1 000 Mann nicht mehr » ganz ausgeschlossen«, war zu hören.
Washington will bis Ende des Jahres seine Truppen auf 68 000 Mann erhöhen. Der Chef des Generalstabes, Mike Mullen, hat aber schon eine weitere Verstärkung der amerikanischen Truppen befürwortet. Auch Verteidigungsminister Robert Gates zeigte sich »offen« für eine weitere Truppenaufstockung. Es ist die Rede von 20 000 Soldaten, wenn nicht sogar bis zu rund 40 000. Mit Aufstockungen der anderen NATO-Truppen könnte die Zahl der Soldaten am Hindukusch dann auf weit über 100 000 steigen, wurde von Pentagon-Offizieren erläutert. Vor allem müsse die Zahl der Kampfsoldaten, der Infanteristen, erheblich erhöht werden.
In der amerikanischen Bevölkerung zeichnet sich allerdings angesichts der hohen Verluste zunehmend eine Kriegsmüdigkeit ab. Der Juli und August waren bislang die tödlichsten Monate für die US-Streitkräfte in Afghanistan: 96 Soldaten verloren ihr Leben, 45 im Juli und 51 im August. Insgesamt hat der fast achtjährige Krieg seit seinem Beginn am 7. Oktober 2001 bei den Amerikanern 827 Opfer gefordert. Im Kongress werde es Obama sehr schwer haben, weitere Truppenverstärkungen durchzusetzen, heißt es in Washington.
Gefahrenquelle durch Fälschungen bei Präsidentenwahl
Vertreter westlicher Geheimdienste sehen neben der ständig wachsenden Gefahren durch die Taliban, die weit über 80 Prozent Afghanistans »mehr oder minder« beherrschten, eine weitere »enorme Gefahrenquelle« durch die offensichtlichen Fälschungen bei der Präsidentenwahl vom 20. August. Der Herausforderer des bisherigen Präsidenten Hamid Karsai, Abdullah Abdullah, warnte in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« vor »dramatischen Folgen«. Er machte Karsai für die Fälschungen verantwortlich und bezichtigte ihn des »Hochverrats«. Wenn eine »illegitime Regierung« unter Karsai weitere fünf Jahre an der Macht bliebe, würde »das die Taliban weiter stärken", betonte Abdullah.
Nach Angaben der EU-Wahlbeobachter sind 1,5 Millionen der 5,5 Millionen Stimmen, die bis kurz vor der Verkündung des vorläufigen Endergebnisses ausgezählt waren, von Manipulationen betroffen. Sie müssen alle überprüft werden. Schon in der Überprüfungszeit befürchten amerikanische und deutsche Geheimdienstler Demonstrationen der Anhänger der Wahlkontrahenten. Die ISAF-Soldaten könnten dabei zwischen die Fronten geraten. Die Taliban könnten diese Situation zu noch intensiveren Angriffen auf die internationalen Truppen nutzen und die Gesamtsituation Afghanistans weiter destabilisieren, gaben die Geheimdienstexperten zu bedenken.
Taliben-Führer glaubt fest an Sieg
Der untergetauchte Taliban-Anführer Mullah Omar glaubt nach eigenen Worten fest an einen Sieg über die «ausländischen Invasoren» und deren Vertreibung aus Afghanistan. Die Taliban seien auf einen langen Krieg vorbereitet, sagte er in einer am Samstag im Internet verbreiteten Botschaft. Omar verwies dabei auf die Niederlagen ausländischer Mächte im Laufe der Geschichte Afghanistans.
Die USA und die NATO sollten sich die Geschichte von Alexander dem Großen in Erinnerung rufen, dessen Streitmacht im 4. Jahrhundert vor Christus von paschtunischen Stammeskriegern geschlagen worden sei, hieß es in der Erklärung Omars. Und weiter erklärte er: «Wir haben 80 Jahre lang von 1839 bis 1919 gegen die britischen Invasoren gekämpft und schließlich nach deren Niederlage die Unabhängigkeit erhalten.» Der Taliban-Führer hält sich seit Jahren versteckt, vermutlich in Pakistan.
Gravierende Mängel bei Ausrüstung deutscher Soldaten
Der scheidende Kommandeur der Bundeswehr im Norden Afghanistans beklagt gravierende Mängel bei Stärke und Ausrüstung seiner Truppe. So seien die für den Einsatz unverzichtbaren Hubschrauber «nur bedingt zur wirksamen Operationsunterstützung geeignet», schrieb Brigadegeneral Jörg Vollmer in einem Einsatzbericht, aus dem der «Focus» und die «Bild»-Zeitung am Wochenende zitierten. Insgesamt umfasst die Mängelliste demnach 155 Einzelpunkte.
Im schwierigsten Gebiet - der Region um die Stadt Kundus - sei mit der derzeitigen Zahl von Kampftruppen «die sofortige und raumgreifende Lageverbesserung in der gesamten Provinz Kundus ... nicht zu erreichen», zitierte der «Focus». Das deutsche Kontingent brauche «mindestens eine zusätzliche Infanteriekompanie, um die Initiative wiederzuerlangen».
Am Mittwoch hatte bereits das ZDF-Auslandsjournal aus dem internen Bundeswehr-Bericht zitiert. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums sagte der AP, man gehe dem Bericht natürlich nach. Er betonte, Vollmer ziehe in seinem Brief auch das Fazit, das Kontingent habe seinen Auftrag erfüllt.
Laut «Bild» weist der Brigadegeneral unter anderem auf einen Mangel an geschützten Fahrzeugen hin, der dringend abzustellen sei: «Das Fehl an geschützten Fahrzeugen ist unverzüglich aufzufüllen», wird der Kommandeur zitiert. Von den 38 Fahrzeugen, die zwischen Januar und Juli 2009 ausgefallen seien, sei keines ersetzt worden.
Dazu hieß es im Ministerium, mit insgesamt 875 geschützten Fahrzeugen vor Ort müsse die Bundeswehr den internationalen Vergleich nicht scheuen. Allein in diesem Jahr seien 100 zusätzliche Fahrzeuge nach Afghanistan gebracht worden, weitere 150 sollten nachkommen.
Laut «Focus» weist Vollmer zudem darauf hin, dass im Schützenpanzer «Marder» die Temperaturen im Innenraum wegen fehlender Klimaanlage auf 80 Grad stiegen.
Steigerung der Waffenwirkung gefordert
Weiter klagt der General über Probleme mit der Munition für das Sturmgewehr G36: «Die Hartkernmunition für das G36 ist aufgrund der fehlenden Mannstoppwirkung ungeeignet», zitierte «Bild». Die Folge sei ein «höherer Munitionsansatz zur Bekämpfung von Zielen». Grundsätzlich sei eine Steigerung der Waffenwirkung auf allen Fahrzeugen zwingend erforderlich. Die Maschinengewehre MG3 und MG4 reichten nicht aus, um die landestypischen Häuser und Wälle zu durchschlagen.
Die Englisch-Kenntnisse der Soldaten stufe der Bericht als teilweise grenzwertig ein, Probleme träten bei der Verständigung mit Dolmetschern sowie Verbündeten auf, hieß es.
Die FDP-Verteidigungsexpertin Elke Hoff zeigte sich laut «Bild» entsetzt über den Bericht. «Die Ausbildung der Soldaten und die Ausstattung mit geschützten Fahrzeugen ist immer noch mangelhaft. Die Bundesregierung muss endlich ihre Beschönigungen aufgeben und handeln», wurde sie zitiert.
Bundesregierung kämpft um Freilassung für Deutsche
Die Bundesregierung in Berlin bemüht sich unterdessen um die Freilassung einer Gruppe von in Pakistan festgenommenen Deutschen, bei denen es sich nach Presseberichten teils um mutmaßliche Islamisten handeln soll. Das Auswärtige Amt bestätigte am Sonntag auf AP-Anfrage konsularische Bemühungen für die deutschen Staatsangehörigen, ohne Einzelheiten zu nennen.
Die Reisegruppe aus sechs mutmaßlichen Islamisten und einem Kind war laut «Spiegel» bereits im Mai an der pakistanischen Grenze festgenommen worden. Anfangs hätten die Deutschen behauptet, sie stammten aus der Türkei. Die Bundesregierung sei erst im August eingeschaltet worden, nachdem der pakistanische Geheimdienst ISI die Ermittlungen übernommen habe.
Die Reisenden hätten in ein Lager der «Islamischen Bewegung Usbekistans» (IBU) gewollt, die vom afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet aus Anschläge verübe, berichtete der «Spiegel» unter Berufung auf deutsche Sicherheitsbehörden weiter. Einer der Festgenommenen sei nach deren Erkenntnissen der Schwager des in Bonn aufgewachsenen IBU-Sprechers Mounir Chouka. Bei einer Befragung durch einen Beamten der deutschen Botschaft hätten zwei der Männer angegeben, sie hätten «in den Dschihad» ziehen wollen. (ddp/ap/afp)