Berlin. Ein Kinderschutzgesetz wird es in dieser Legislaturperiode nicht mehr geben. Die große Koalition konnte sich nicht auf einen gemeinsamen Entwurf einigen. Die SPD warf Familienministerin von der Leyen unteranderem "Kontrollwut" vor.
Mit dem Kinderschutzgesetz ist ein weiteres wichtiges Reformvorhaben der Großen Koalition in letzter Minute geplatzt. Union und SPD gaben einander am Montag gegenseitig die Schuld dafür. Die Sozialdemokraten sprachen von unüberbrückbaren Differenzen. CDU und CSU hielten der SPD hingegen eine «wahltaktisch begründete Blockadehaltung» vor. Das Gesetz sollte Kinder besser vor Misshandlung schützen und eigentlich noch diesen Sommer in Kraft treten.
Die neuen Melde- und Kontrollregelungen «à la von der Leyen» seien Ausdruck einer Kontrollwut und würden dem Kinderschutz nicht weiter helfen, erklärten SPD-Vizefraktionsvorsitzende Christel Humme und die familienpolitische Sprecherin Caren Marks. Ein Gesetz noch diese Woche im Bundestag zu verabschieden, wäre ein «gesetzgeberischer Blindflug», meinten sie. Sie gestanden allerdings zu, dass die zuletzt gemeinsam erarbeiteten Änderungsvorschläge in die richtige Richtung gingen. Erstmals seien auch vorbeugende Ansätze einbezogen worden. «Aber die für uns alles entscheidende Frage, ob die diskutierten Regelungen den Kinderschutz vor Ort tatsächlich effektiver machen, konnte nicht abschließend beantwortet werden.»
Die CDU/CSU äußerte sich empört darüber, «dass das unbestritten notwendige Kinderschutzgesetz der wahltaktisch begründeten Blockadehaltung der SPD zum Opfer fällt», wie Unions-Fraktionsgeschäftsführer Norbert Röttgen erklärte. «Es bestand parteiübergreifend Einigung, dass die bedrückenden Fälle von Verwahrlosung und Vernachlässigung von Kindern entschiedener politischer und gesetzlicher Konsequenzen bedürfen.» Es sei unverantwortlich und zynisch, Kinder im Stich zu lassen, die dringend staatlichen Schutzes bedürften.
Damit ist ein weiteres wichtiges Reformvorhaben der Großen Koalition geplatzt. Erst vergangene Woche war das CCS-Gesetz zur unterirdischen Speicherung des Klimakillers Kohlendioxid gescheitert.
Entwurf sah eine Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht vor
Dem Entwurf zum geplanten Kinderschutzgesetz zufolge hätten Jugendämter künftig persönlich ein Kind in Augenschein nehmen müssen, wenn es Hinweise auf eine Gefährdung gab. Darüber hinaus sollte die Schweigepflicht von Ärzten gelockert werden, wenn Anzeichen für Misshandlungen oder Unterernährung auftreten.
Das Bundeskabinett hatte den Entwurf bereits im Januar verabschiedet. Nach dem Willen des Bundesfamilienministeriums sollte das Gesetz noch im Sommer in Kraft treten. Ministerin Ursula von der Leyen (CDU) hatte Anfang des Monats eine schnelle Einigung innerhalb von vier Wochen noch für möglich gehalten, weil nach Kritik von Experten ein Kompromiss formuliert worden sei, der Jugendämter nicht grundsätzlich zu einem Hausbesuch verpflichte, sondern nur, wenn es fachlich geboten ist. (ap/afp)