Essen. Atomtransporte aus NRW nach Russland sorgen für Streit. Im Mittelpunkt steht die Firma Urenco. Das Unternehmen lässt dort nur einen Teil ihres Uranabfalls wieder anreichern, der Rest bleibt in Russland. Für Umweltschützer ist das reine Atommüll-Entsorgung. Sie sprechen von Etikettenschwindel.
Die Atomfirma Urenco betreibt etwa 60 Kilometer nordwestlich von Münster in Gronau die einzige Urananreicherungsanlage in Deutschland. An Urenco beteiligt sind zu je einem Drittel die niederländische und die britische Regierung; ein weiteres Drittel gehört den Atomkraftwerk-Betreibern RWE und Eon.
Der Streit dreht sich um die Frage, wie mit radioaktivem Uran umzugehen ist. Hintergrund: Angereichertes Uran wird zur Stromerzeugung in Atomkraftwerken benötigt. Abgereichertes Uran („Tails”) ist ein Abfallprodukt aus der Herstellung von Kernbrennstoff für die Kraftwerke. Es kann wieder angereichert und so wiederverwertbar werden.
Vertrag mit russischer Tenex
Bisher ließ Urenco die Tails in Russland von der Firma Tenex wieder „aufpeppen” – seit 1996 brachte Urenco 27 300 Tonnen dieses Urans per Bahn und Schiff gen Osten. Was davon nicht wiederangereichert wurde, blieb in Russland. Das sei bei solchen Verträgen üblich, betont Urenco. Der Vertrag mit Tenex laufe dieses Jahr aus; am 26. August habe Urenco den letzten Transport nach Russland geschickt.
Tails, die in Russland angereichert werden, gelten nicht als radioaktiver Abfall (Atommüll). Daher müssen sie nicht geordnet beseitigt, also endgelagert werden – hierfür wäre der Bund zuständig. Daran entzündet sich Kritik.
Kritik
Der Fraktionsvize der NRW-Grünen, Reiner Priggen, fordert die Bundesregierung auf, solchen Exporten einen Riegel vorzuschieben. „Das Material ist Atommüll und muss auch als solches behandelt und in Deutschland gelagert werden”, findet er.
Die Umweltschutzorganisation Greenpeace moniert, dass nur ein Bruchteil des von Urenco nach Russland geschickten radioaktiven Urans wiederverwertbar gemacht werde. Der Rest lagere oft in Transportbehältern unter freiem Himmel. Roste ein Behälter durch, könne hochätzende Flusssäure entstehen. „Es ist ein Etikettenschwindel, dass von Urenco nach Russland transportiertes abgereichertes Uran nicht als Atommüll gilt, obwohl nur ein Bruchteil wiederverwertet wird”, kritisiert Greenpeace-Atomexperte Heinz Smital. Das sei eine „Müllverlagerung” nach dem Motto „Aus den Augen, aus dem Sinn”.
Urenco baut aus
Und was sagt Urenco dazu? Die Firma, die neben Deutschland Standorte in den Niederlanden, Großbritannien und bald in den USA hat, sieht Tails als Wertstoff an. „In Russland wird das Material ja wieder angereichert, davon gehen etwa 15 Prozent zurück”, sagt eine Sprecherin. Außerdem werde das Uran in Russland zwar unter freiem Himmel gelagert – allerdings nicht in rostenden Behältern, sondern in Stahlfässern mit 16 Millimeter dicken Wänden.
Urencos Geschäfte laufen gut – die Firma baut die Anlage in Gronau derzeit für 800 Millionen Euro aus. Statt jährlich 1800 Tonnen Uran will die Atomfirma in wenigen Jahren 4500 Tonnen Uran anreichern. Das liefert sie weltweit an Firmen, die dann Urantabletten für Brennelemente – den „Treibstoff” für Atomkraftwerke – fertigen.
Briten wollen aussteigen
In Urencos Eigentümerkreis dürfte sich bald etwas ändern: Die britische Regierung plant angesichts wachsender Schuldenberge, Staatseigentum zu verkaufen – darunter auch den Anteil am Uran-Konsortium.