Düsseldorf. . Zwei Wochen vor dem Landesparteitag in Bochum bereitet die Partei von Ministerpräsident Kraft offenbar einen Kurswechsel beim „Turbo-Abitur“ vor.

Als Eva-Maria Voigt-Küppers, eine der stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Landtagsfraktion, im August 2015 öffentlich über einen „Plan B“ zum ungeliebten „Turbo-Abitur“ nachdachte, brach in Düsseldorf ein parteiinternes Sommertheater los. Voigt-Küppers hatte gewagt, Wahlmöglichkeiten zwischen acht und neun gymnasialen Jahren ins Gespräch zu bringen und ein „G 8,5“ nicht auszuschließen.

Fraktionschef Norbert Römer, ein enger Vertrauter von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD), pfiff seine Kollegin damals rüde zurück: „Es gibt in der SPD-Landtagsfraktion weder Pläne noch Beschlüsse, das Abitur nach acht Jahren infrage zu stellen oder gar abzuschaffen.“ In der Fraktionsspitze wurde lamentiert, ­Voigt-Küppers sei wahlweise von Journalisten missverstanden oder gar „aufs Glatteis geführt“ worden.

Partei leitet die Kehrtwende ein

Wie sehr sich der Umgang der SPD mit dem Thema „Turbo-Abitur“ seither gewandelt hat, war zu Wochenbeginn zu beobachten. Landtagspräsidentin Carina Gödecke (SPD) bezeichnete die verkürzte Schulzeit vor Jugendlichen in Herne als „Versündigung“ an der jungen Generation und ermunterte ganz unpräsidial dazu, „Scheiße zu nennen, was Scheiße ist“. Gödecke stand anderntags zu ihren Zitaten – und wurde von niemandem aus der Partei zur Ordnung gerufen.

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Von Christopher Onkelbach

Längst gilt es als ausgemacht, dass die Sozialdemokraten beim Landesparteitag am 24. September in Bochum eine Kehrtwende in Sachen „G 8“ einleiten werden. Die Parteispitze will auf Drängen der Basis einen Leitantrag formulieren, der die Schulstrukturdebatte in NRW neu eröffnet. Mehrere SPD-Unterbezirke fordern eine Art „G 8 Flexi“, damit auch an Gymnasien Schüler in unterschiedlicher Geschwindigkeit lernen können.

Als Blaupause könnte ein Parteitagsantrag der Kölner SPD dienen: Die Sekundarstufe I an Gymnasien soll wieder auf sechs Jahre erweitert und die Sekundarstufe II dafür je nach Leistung des Schülers flexibilisiert werden. Problem: Die Kultusminister-Konferenz hat 2008 festgelegt, dass die Oberstufe drei Schuljahre umfassen muss.

Viele Verbesserungsvorschläge

Ministerpräsidentin Kraft hatte noch in den Sommerferien Reformen abgelehnt und auf die Verbesserungsvorschläge eines „Runden Tisches“ von Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) verwiesen. „Wir sollten die Wirkung der Maßnahmen abwarten und nicht schon wieder neue Strukturdebatten führen“, stellte Kraft klar.

Löhrmann hatte mehrfach Interessengruppen wie Eltern- und Lehrervertretungen eingeladen und Ende 2014 verschiedene Maßnahmen wie weniger Hausaufgaben, Nachmittagsunterricht und Lernstoff festgelegt. Am Modell „G 8“ sollte jedoch nicht gerüttelt werden. Die grüne Schulministerin, ironischerweise selbst nie G 8-Befürworterin, hatte 2010 zum letzten Mal den Schulen die G 9-Rückkehr freigestellt. Nur 13 von 628 Gymnasien entschieden sich damals dafür.

Um das Regierungsduo Kraft/Löhrmann scheint es bei diesem Thema jedoch einsam zu werden. Mit der Landeselternschaft der Gymnasien hat eine entscheidende Interessenvertretung dem „Turbo-Abitur“ die Loyalität aufgekündigt. Selbst Bayern und die einst glühendsten Befürworter der NRW-FDP sind von der Schulzeitverkürzung abgerückt. Acht Monate vor der Landtagswahl ist der Druck enorm gewachsen. Neben den Problemthemen Wirtschaftswachstum und Innere Sicherheit muss Rot-Grün plötzlich einen Schul-Wahlkampf fürchten.

Viele unbeantwortete Fragen

In der SPD werben deshalb viele für ein „G 8 Flexi“, selbst wenn sich daran Fragen knüpfen: Wie viele zusätzliche Lehrer würden benötigt? Wie groß würde der organisatorische Aufwand? Wie würden Eltern und Schüler reagieren? Politisch begründen wollen die Sozialdemokraten ihre Kehrtwende am Ende von sieben Regierungsjahren offenbar mit einer Art „Geburtsfehler-Theorie“. Die lautet: Schwarz-Gelb habe bei der Einführung von G 8 mit der Verdichtung des Lernstoffes in der Sekundarstufe 1 das Gelingen der Schulzeitverkürzung unmöglich gemacht. Rot-Grün habe seit 2010 zahlreiche Rettungsversuche unternommen, nun müssten Strukturreformen her.