Düsseldorf. Die einst entschiedensten Befürworter wenden sich von G8 ab: Die FDP will Gymnasien selbst entscheiden lassen. Das setzt Rot-Grün unter Druck

Der Streit um das „Turbo-Abitur“ in Nordrhein-Westfalen ist neun Monate vor der Landtagswahl neu entflammt. Die NRW-FDP als einst entschiedenste Befürworterin der Schulzeitverkürzung bereitet eine Kurskorrektur vor. Die Schulkonferenzen an den Gymnasien sollen selbst zwischen G8 und G9 entscheiden dürfen.

„Wir nehmen die Sorgen von Eltern und Schülern ernst und wollen mehr Autonomie vor Ort ermöglichen“, sagte FDP-Generalsekretär Johannes Vogel am Mittwoch in Düsseldort. Er werde dem Landesvorstand der Liberalen vorschlagen, mit einem Optionsmodell in die Landtagswahl 2017 zu ziehen. In keiner Schule, in der G8 gut funktioniere, solle G9 wieder zwangseingeführt werden. Wo die Schulzeitverkürzung neben der umstrittenen Inklusion und fehlender Ganztagsbetreuung noch immer große Probleme bereite, müsse ein Weg zurück aber möglich sein.

Das letzte Worthat der FDP-Parteitag

Vogel stützt sich auf eine parteiinterne Befragung, an der etwa 3000 der rund 10 000 FDP-Mitglieder in NRW teilgenommen hatten. 70 Prozent von ihnen sprachen sich dafür aus, über G8 oder G9 vor Ort entscheiden zu lassen. Ein ähnliches Optionsmodell hatte Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) für 2018 angekündigt. Das letzte Wort hat der FDP-Parteitag am 19./20. November in Neuss.

FDP-Bildungsexpertin Yvonne Gebauer soll bis dahin die praktischen Details klären. Offen ist etwa, für wie viele Jahre sich die Schulkonferenz beim Votum für eine G9-Rückkehr binden soll. Zudem muss geklärt werden, wie das Schulministerium den Personalschlüssel für jedes Gymnasium anpassen kann, wenn ein Wechsel zwischen G8 und G9 praktisch zu jedem Schuljahr möglich wäre.

Piraten stemmten sich bisher einsam gegen das Turbo-Abitur

Der FDP-Vorstoß setzt vor allem Rot-Grün, aber auch die CDU-Opposition unter Druck. Bislang hatte sich im Landtag nur die Piratenpartei einsam gegen das „Turbo-Abitur“ gestellt. Trotz wachsender Kritik von Eltern, negativen Umfragen und einer Volksinitiative hält insbesondere Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) bislang eisern an G8 fest. Ihr würden bei einer neunjährigen Gymnasialzeit Tausende Lehrerstellen fehlen.

Löhrmann verweist auf einen „Runden Tisch“ mit allen Landtagsfraktionen, Eltern- und Interessenverbänden. Dieser hatte 2014 eine Rolle rückwärts zu G9 mehrheitlich abgelehnt und stattdessen Verbesserungen im G8-Alltag versprochen.

Auch innerhalb der CDU ist ein Wackeln bei G8 umstritten

Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) hat diese Linie erst vor wenigen Tagen wieder bekräftigt. Mit der Klage, das Turbo-Abitur sei vor zehn Jahren von Schwarz-Gelb überstürzt eingeführt worden, dringt Rot-Grün bei verärgerten Eltern kaum noch durch. Oppositionsführer Armin Laschet dürfte das Mobilisierungspotenzial des Themas Turbo-Abitur bei der Wahlkampfplanung kaum ungenutzt lassen. Innerhalb der CDU ist ein Wackeln bei G8 jedoch umstritten.

Die von der FDP geforderte Wahlfreiheit für jedes Gymnasium hatte Löhrmann übrigens selbst kurzzeitig gewährt: 2010 entschieden sich landesweit nur ein gutes Dutzend Schulkonferenzen für die Rückkehr zur längeren Schulzeit.