Essen. .
- Gewerkschaft und Kirchen ziehen gegen Sonntags-Öffnung zu Felde
- 2015 gab es in NRW 1742 verkaufsoffene Sonntage in Städten oder Stadtteilen
- Bundesgerichtshof knüpft Sonntagsregelung an Feste, Kirmes oder Messen
Gerichte haben in den letzten Monaten in NRW, Hessen und Baden-Württemberg mehrere verkaufsoffene Sonntage untersagt, weil der Anlass zu dürftig war. Um überhaupt einen verkaufsoffenen Sonntag anbieten zu können, muss es im Ort ein Stadtfest, Markt, Messe, Kirmes oder eine andere traditionelle Großveranstaltung geben.
Betroffen waren bisher Velbert und Münster. Duisburg und Bochum haben daraufhin von sich aus mehrere Verkaufssonntage gestrichen, Dortmund will sich 2016 auf nur noch wenige Termine konzentrieren und Essen künftig strengere Maßstäbe anlegen, wenn es um Genehmigungen für 2017 geht.
„Allianz für den freien Sonntag“
Die „Allianz für den freien Sonntag“ wird in den nächsten Wochen alle Kommunen in NRW anschreiben, um auf die strengere Rechtsprechung hinzuweisen. Hinter ihr stehen Gewerkschaften wie Verdi und kirchliche Organisationen. „Es geht um den Schutz der Beschäftigten und um den Sonntag als Ruheraum“, sagt Nils Böhlke, Fachbereichsleiter bei Verdi. Letztendlich wolle man Verkaufssonntage „ganz weg haben, zunächst aber mal die Rechtslage durchsetzen“.
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Der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes NRW, Peter Achten, findet es „sehr bedauerlich, dass die Sonntagsöffnung massiv torpediert werden soll“. Wenn man dem lokalen Handel Präsentationsmöglichkeiten raube, „gewinnen andere Kanäle: Urlaubsorte, das Ausland, das Internet“. Für die Kaufleute sei es wichtig, mit den Sonntagen einen anhaltenden Werbeeffekt zu erreichen. 2015 gab es in NRW 1742 Sonntagsöffnungen in Städten oder Stadtteilen, also mehr als 30 pro Sonntag.
Das Bundesverwaltungsgericht hatte Ende 2015 geurteilt, Sonntagsöffnung sei nur zulässig, „wenn der Markt und nicht die Ladenöffnung den Tag prägt“. Der Anlass müsse auch ohne Ladenöffnung einen „beträchtlichen Besucherstrom“ anziehen. Die Landesregierung NRW sieht keinen Anlass zu handeln. Sie hatte das Gesetz schon 2013 verschärft. Der Rat der Stadt Münster hatte am Dienstag ein Bürgerbegehren gegen verkaufsoffene Sonntage abgelehnt. Er befürchtet finanzielle Einbußen für die Stadt. Nun wird es im November einen Bürgerentscheid über bereits genehmigte Verkaufssonntage in Münster geben.
Verdi hatte erfolgreich Klage eingereicht
Die Wirtschaft demonstriert ja eher selten vor Gewerkschaftshäusern, Mitte August aber ist es wahrhaftig passiert. Da steht plötzlich der „Wirtschaftsverbund Hiltrup“ in Gestalt von rund 25 wütenden Kaufleuten vor der Verdi-Zentrale in Münster und greift Verdi an mit Verdi-Mitteln: Lärm, Plakaten und einem leichten Überschuss in der empörten Wortwahl. „Für Hiltrup gegen Leerstand“ steht da zu lesen, „Verdi fördert Amazon“ oder: „Verdi, Totengräber der Stadtteile“.
Die Gewerkschaft nämlich hatte erfolgreich Klage eingereicht gegen einen verkaufsoffenen Sonntag in Hiltrup – und damit die Kaufleute nicht nur um das anlassgebende „Weinfest“ gebracht, was sie wohl verschmerzt hätten: sondern auch um einen zusätzlichen Eintagsumsatz und, vor allem, um den erhofften Werbeeffekt.
Funktion als Schaufenster
Genau darum sind Verkaufssonntage bei Geschäftsinhabern so beliebt: Da können sie ihren Ort halbwegs konkurrenzlos präsentieren und darauf hoffen, dass Kunden, die sonst nie kämen, sogar wiederkommen. „Das funktioniert, sonst würde es ja nicht so oft gemacht“, sagt Peter Achten, der Hauptgeschäftsführer des „Handelsverbandes NRW“.
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Freilich ist die Untersagung von Hiltrup kein Einzelfall. Zuletzt waren viele Anlässe aber auch allzu fadenscheinig, die einen verkaufsoffenen Sonntag begründen sollten. Eching in Bayern wollte die Sonntagsöffnung mehrerer Möbelhäuser zulassen wegen eines Frühlingsfestes im Gewerbegebiet, und zwar eines mit Torwand!
Der Anlass muss im Mittelpunkt stehen
In Velbert-Neviges sollte ein Kinderfest herhalten und in einer Einkaufsstraße in Münster der nächste Weihnachtsmarkt: Freilich kam das Verwaltungsgericht vorab dahinter, dass in jener Straße „Marktstände mit weihnachtlichem Gepräge nicht vorhanden“ sein würden und die Entfernung zum tatsächlichen Weihnachtsmarkt so groß sei, dass kein Bezug zu erkennen sei.
Hiltrup, Eching, Neviges, Münster: vier verkaufsoffene Sonntage, von der Stadt genehmigt, von Gerichten untersagt. Denn die Rechtsprechung legt jetzt höhere Maßstäbe an den vorgeschriebenen Anlass, nachdem das Bundesverwaltungsgericht geurteilt hat: Ein Fest, eine Kirmes, eine Messe müsse im Mittelpunkt stehen und mehr Besucher anziehen als die Ladenöffnung.
26 Orte am kommenden Sonntag
Da liegt die Latte freilich extrem hoch, wenn man bedenkt, wie voll die Revierstädte an verkaufsoffenen Sonntagen sind. Die Leute lieben sie – im Zweifel sogar mehr als den anscheinend auslösenden Hagener „Autosalon“ (nächsten Sonntag), das Heiligenhäuser „Oldtimer-Treffen“ (nächsten Sonntag) oder den Hattinger „Kulinarischen Altstadtmarkt“ (nächsten Sonntag).
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In vielen Fällen sprechen Kritiker von „Schein-Anlässen“ und „Inflation“: Auf einer Liste bei „ruhr-guide.de“ stehen allein für den 4. September, den nächsten Sonntag, in NRW 15 geöffnete Innenstädte und elf weitere Städte, in denen Stadtteile öffnen. Viele Ruhrgebietsstädte reagieren jetzt auf die neue Rechtsprechung, indem sie die Anlässe durchkämmen: Bei einigen gebe es „Gesprächsbedarf“, heißt es etwa in Essen. Und die „Allianz für den freien Sonntag“ plakatiert dazu: „Sonntag – ein Geschenk des Himmels“. Oder: „Die Ruhe bewahren.“
„Allein eine Hüpfburg vor dem Laden reicht nicht“
„Allein eine Hüpfburg vor dem Laden reicht nicht“, sagt sogar Peter Achten, der Mann vom Handelsverband: „Aber kleinere Städte bekommen dann Schwierigkeiten, die keine große Veranstaltung haben.“ Darüber hinaus schade eine Einschränkung der verkaufsoffenen Sonntage „genau jenen, sie sich auch sonst lokal engagieren. Amazon hat noch nie Plakate fürs Sportfest bezahlt oder geklebt.“