Neapel. Bei der italienischen Camorra steigen immer mehr Frauen auf. Die Patinnen sind häufig die Witwen toter oder die Frauen verhafteter Mafiosi. Zwar übernehmen sie weiterhin traditionelle Rollen im Haus und bei der Kindererziehung - weniger blutig sind die Auseinandersetzungen der Clans nicht.

Sie führen ein Pseudonym wie «Dicke Katze» oder «Wildfang». Ihren Familienclan regieren sie mit eiserner Entschlossenheit. Sie ziehen die Kinder auf, kochen Pasta - und organisieren die Geschäfte der Camorra: In dem süditalienischen Verbrechersyndikat gibt es immer mehr «Patinnen». Denn während der Staat den Kampf gegen die Mafia verstärkt und bereits mehrere führende Mitglieder verhaftet hat, übernehmen zunehmend Frauen deren aktive Aufgaben im Geschäft.

Die Frauen der Paten treten die Nachfolge an

«Entweder sind es die Witwen von Gangsterbossen oder Ehefrauen, deren Männer im Gefängnis sitzen. Sie sind es, die die Zügel in der Hand halten», sagt Gaetano Maruccia von den Carabinieri in der Region um Neapel. Mütter, Töchter, Schwestern und Schwägerinnen übernähmen immer mehr führende Rollen, sagt auch Staatsanwältin Stefania Castaldi, die das organisierte Verbrechen untersucht.

Nachdem die beiden führenden Mafiafahnder Giovanni Falcone und Paolo Borsellino 1992 bei Bombenanschlägen in Sizilien ums Leben kamen, hat Italien die Gesetzte gegen Top-Mafiosi verschärft. Dazu gehört auch die Einschränkung von Gefängnisbesuchen Angehöriger - was die Frauen der Camorra zu ihrem Vorteil zu nutzen wussten. «Die meisten Bosse wollten ihre Ehefrauen sehen», sagt Staatsanwältin Castaldi. «Meist sind es die Frauen, die die Befehle des Clanbosses weitergeben. So wird die Frau zum Bindeglied zwischen dem Geschehen im und außerhalb des Gefängnisses.» Und gewinnt damit an Prestige innerhalb des Clans.

Schießerei auf der Straße

Vielfach besetzen die Frauen der Camorra zwar nach wie vor die eher traditionelle Rolle und schneiden und verpacken Kokain und Heroin in ihrer Küche. Andere allerdings erpressen Schutzgelder von Händlern oder beteiligen sich direkt an millionenschwerem Drogenhandel, so Castaldi. Bei einem der blutrünstigsten Zwischenfälle trafen sich im Jahr 2002 Frauen rivalisierender Camorra-Clans in den Straßen von Lauro in der Nähe von Neapel. Zuerst warfen sie sich Beleidigungen an den Kopf, dann griffen sie zu Maschinengewehren und Pistolen. Zwei ältere Frauen und eine 16-Jährige kamen ums Leben. Der Grund für das Blutbad: ein Revierkampf, angeheizt durch den Mord an einem Vetter eines Klanbosses.

Einige der Camorra-Patinnen stehen den Behörden zufolge den Männern im Verlangen nach Macht und Gehorsam in nichts nach. So auch Maria Licciardi, eine der Siegerinnen der langanhaltenden Blutfehde zwischen den Di Lauro und den Secondigliano, der vor einigen Jahren fast täglich mehrere Menschen das Leben kostete. «Signora Licciardi ist eine wirkliche Patin», sagt Castaldi. «Sie war die Schwester eines Bosses, sie saß mit anderen Bossen an einem Tisch und traf die Entscheidungen mit ihnen. Sie war mit ihnen auf einer Stufe.»

"Gefängnisse stellen kein Hindernis dar"

Nun untersuchen die Behörden, ob eine dieser Entscheidungen der Befehl zur Tötung von 30 Rivalen war. Die unter dem Spitznamen «die Kleine» bekannte Licciardi wurde 2001 bei einer Straßenkontrolle festgenommen. Seit 1999 auf der Flucht, gehörte sie zu dieser Zeit zu den 30 meistgesuchten Verbrechern Italiens. Sie ist eine der wenigen weiblichen Kriminellen, die in Italiens härtestem Strafvollzug verwahrt werden und deren Kontakt zur Außenwelt streng beschränkt ist.

«Auch wenn sie im Gefängnis sitzt, gibt sie nach wie vor Befehle. Gefängnisse stellen kein Hindernis dar» für die Camorra, sagt Anna Maria Zaccaria, Soziologin an der Universität Federico II in Neapel, die die Rolle der Frauen innerhalb des Verbrechersyndikats untersucht. Licciardi gelte als fähige Managerin, und ganz besonders werde ihre «Überzeugungskraft» geschätzt, so Zaccaria. Berichten zufolge soll sie potenziell abtrünnige Camorramitglieder dazu gebracht haben, weiterhin loyal zum Clan zu stehen.

Pasta kochen und Ehen arrangieren

Dei Frau in der Camorra halte sich an die Rolle der Frau in der matriarchalischen neapolitanischen Gesellschaft, sagt Zaccaria. «Sie kümmert sich um die Haushaltausgaben und die Erziehung der Kinder.» Bei der Mafia heißt das: Die wöchentliche Zahlung von Taschengeld an die Nachbarskinder, damit sie nach der Polizei Ausschau halten. Die eigenen Kinder auf ein Leben als Kriminelle vorbereiten. Und Ehen zwischen Söhnen und Töchtern zu arrangieren, um neue oder engere Bindungen zu potenziell rivalisierenden Clans zu schaffen.

Während den Frauen der Camorra so allem Anschein nach kaum Grenzen bei einer kriminellen Karriere gesetzt sind, haben die Frauen der sizilianischen Cosa Nostra diese Möglichkeiten offenbar nicht. Der Historiker Ombretta Ingrasci aus Mailand, Autor eines Buches über Frauen in der sizilianischen Mafia, spricht von einer unsichtbaren Barriere: im Gegensatz zur familienorientierten Camorra scheint die Cosa Nostra im Wesentlichen ein Männerverein zu sein, der seine Mitglieder nicht nach Blutsverwandtschaft auswählt.

Emanzipiert sind die Camorra-Frauen aber trotzdem nicht, wie Zaccaria an einem einfachen Beispiel erklärt: «Die Regeln der Camorra erlauben dem Boss, so viele Liebhaber zu haben wie er will, da dies seine Macht stärkt. Die Frauen der Camorra dürfen ihn dagegen nicht betrügen.» (ap)