Bochum. . SPD-Chef Sigmar Gabriel forderte in Bochum eine engere Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft im Ruhrgebiet. Lob für Leistungen der Hochschulen.
Hatte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) dem Ruhrgebiet kürzlich noch eine Standpauke gehalten, gab es jetzt von Sigmar Gabriel (SPD) Streicheleinheiten für das Revier. Lammert hatte der Region vorgeworfen, eine „Lebenslüge“ zu pflegen, lokale Konkurrenzen auszutragen und Hilfe aus Berlin einzufordern, statt selbst und gemeinsam die Verwerfungen des Strukturwandels anzugehen.
Ganz anders der SPD-Chef, der jetzt anlässlich des Jubiläums „50 Jahre Ruhr-Universität“ vor rund 400 Gästen an der Uni über „Rohstoff Wissenschaft. Innovation für das Ruhrgebiet“ sprach. Den VfL Bochum hätten die Fans einmal „die Unabsteigbaren“ getauft, so Gabriel. „Das passt zum Ruhrgebiet. Das sagt etwas über den Kampfgeist im Pott.“
Ohne Lammert und dessen Kritik zu erwähnen, machte Gabriel dem Ruhrgebiet Mut, sich als Zukunftsregion zu begreifen, lobte seine Fähigkeit zum Wandel und betonte die Bedeutung von Wissenschaft und Bildung. Akademikerschwemme? Keine Rede. „Die steigenden Studentenzahlen bedeuten vor allem für das Ruhrgebiet, dass viele Menschen Studienabschlüsse erworben haben, von denen ihre Eltern und Großeltern nur träumen konnten.“
Revier leistet „Entwicklungshilfe“
Bildung und Wissen seien die Bedingungen für die Emanzipation des einzelnen, für Aufstieg und wirtschaftliche Erfolg sowie für eine funktionierende Demokratie. „Wissen ist Macht“, sagte Gabriel, das gehöre zu den Gründungsmaximen der SPD, denn nicht die Herkunft, sondern die Fähigkeiten sollten über Chancen entscheiden.
In einer Region, die einst von Kohle und Stahl geprägt war, leben und studieren heute 250.000 junge Menschen, 1500 Professoren lehren und forschen hier, 50.000 Arbeitsplätze hängen direkt oder indirekt von der Wissenschaft ab. „Keine andere Region bildet so viele junge Menschen aus wie das Ruhrgebiet“, betonte Gabriel. Dabei leiste das Ruhrgebiet eine Art unfreiwillige „Entwicklungshilfe“ für andere Bundesländer: Es sei ärgerlich, dass viele der hier ausgebildeten Fachkräfte in andere Regionen abwanderten. So befeuerten Fachkräfte aus dem Ruhrgebiet den wirtschaftlichen Fortschritt andernorts. Die „Akademikerdichte“ in den Städten des Ruhrgebiets sei niedriger als in vergleichbaren Metropolen, „damit kann die Region nicht zufrieden sein“, sagte der Wirtschaftsminister. Er mahnte: „Fachkräfte sind in wenigen Jahren ein knapper Rohstoff.“
Die Universitäten im Ruhrgebiet, dies sich 2007 zur Universitätsallianz Ruhr zusammengefunden haben, forderte er auf, ihre Kooperation zu intensivieren und versprach, dabei von Berlin aus Unterstützung zu leisten. „Das will ich gerne unterstützen, denn das Modell sollte Schule machen“, lobte Gabriel.
Sorge um Digitalisierung
Auch bei der Digitalisierung der Wirtschaft und dem Ausbau mit schnellem Internet sieht er noch Luft nach oben. Vor allem die Betriebe des Mittelstandes reagierten zurückhaltend auf den Trend. Und er machte das Problem am Beispiel seiner Tochter anschaulich: „Sie will kein Auto haben, sie will Mobilität. Und wer kennt die Mobilitätsbedürfnisse meiner Tochter am besten? Nicht VW, nicht BMW oder Daimler, sondern Google.“ Das bedeute: Man benötigt nicht nur gute Produkte, in diesem Fall Autos, sondern zugleich die Vernetzung, den Service und die Plattformen für Mobilitätsangebote. Diese Chancen der IT-Technik nutze die Wirtschaft noch nicht genug.
Doch auch in Bochum holte den Vize-Kanzler das große Thema dieser Tage ein: die Flüchtlingskrise. Nach einer Frage aus dem Publikum zum Streit in der Großen Koalition gab er zu: „Diese Debatten über Transitzentren und Familiennachzug waren falsch und idiotisch. Das sind Ersatzhandlungen, die an der Lage nichts ändern. Sollen wir etwa die syrischen Männer aufnehmen, aber die Frauen und Kinder im Krieg lassen?“ Der Streit habe ohnehin verunsicherte Bürger zusätzlich irritiert. „Das sollte eine Regierung nicht machen.“