Washington/Beirut. Erst am Morgen hat Russlands Präsident Putin sich den Militäreinsatz in Syrien vom Föderationsrat genehmigen lassen. Nun laufen schon die ersten Angriffe.
- Russland werde die syrische Armee so lange unterstützen, bis diese ihren Kampf beendet habe, so Putin
- Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte kamen mindestens 27 Menschen ums Leben
- Föderationsrat in Moskau hatte Putin einstimmig den Einsatz von Soldaten in dem Bürgerkriegsland erlaubt
Mit Luftschlägen auf strategische Ziele in Syrien hat Russland erstmals militärisch in den blutigen Konflikt eingegriffen. Kampfjets hätten unter anderem Munitionsdepots und Treibstofflager der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) bombardiert, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau am Mittwoch mit. Syrischen Aktivisten zufolge bombardierten die Jets mehrere Orte nördlich von Homs, die von gemäßigten Rebellen gehalten werden.
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Präsident Wladimir Putin nannte Russlands Intervention den "einzigen Weg im Kampf gegen den internationalen Terrorismus". Russland werde die syrische Armee so lange unterstützen, bis diese ihren Kampf beendet habe, kündigte er an.
Bombardierte Region wird wohl von gemäßigten Rebellen kontrolliert
Noch ist unklar, wen die Russen mit ihren Luftangriffen treffen wollten. Gebiete nördlich von Homs wurden bis vor kurzem von sunnitischen Kämpfer der Rebellenkoalition „Dschaisch Al Hor“ kontrolliert, die gleichzeitig gegen Assad und den terroristischen „Islamischen Staat“ (IS) kämpfen. In Homs selbst, wo laut der syrischen Menschenrechtsplattform SOHR ebenfalls mehrere russische Raketen einschlugen, sollen vielleicht sogar noch Assads Einheiten stehen. Irrtümliches Feuer der russischen Kampfjets auf ihre eigenen Verbündeten ist nicht auszuschließen.
Sollten die Russen IS-Kämpfer bombardieren, würden sie damit die etwa 100 000 Rebellen der Koalition „Dschaisch Al Hor“ begünstigen. Die bekämpfen den IS, bedrängen aber auch Assads Streitkräfte heftig. „Also greifen die Russen Dschaisch Al Hor an“, sagt der Moskauer Nahostexperte Ochran Dschemal unserer Zeitung. „Und geraten in Konflikt mit den USA.“ Denn damit würden sie Assad und die IS stärken.
Rätselraten herrscht auch darüber, in welchem Maßstab das russische Militär intervenieren wird. Zuletzt häuften sich Meldungen über knapp 30 russische Kampfflieger, sowie Schützenpanzer und Marineinfanteristen in Syrien. So ist nicht auszuschließen, dass auch in Syrien russische Freiwillige und Einheiten mit oder ohne Erkennungszeichen gemeinsam mit Assads Regierungstruppen Front machen. Die Zeitung Kommersant berichtete von mindestens zwölf russischen Freischärlern mit Kriegserfahrung, die im Irak auf ihren Weitertransport nach Syrien warten. Das Nachrichtenportal gaseta.ru interviewte in Nowosibirsk russische Berufssoldaten mit Marschbefehl nach Syrien. Sie sagten, ihre Kameraden wären dort seit vier Monaten im Einsatz.
Eskalation des Konflikts möglich
„Wer garantiert, dass Russland nicht in einen ausgewachsenen Krieg hineingerät?“, schreibt Dmitri Gudkow, der letzte oppositionelle Duma-Abgeordnete auf Facebook. Nach Putins Aussagen zur Ukraine sei seine Versicherung, er werde in Syrien nur die Luftwaffe einsetzen, mit Vorsicht zu genießen, sagt der Politologe Stanislaw Belkowski. Andere Beobachter befürchten, je nach der Reaktion des Westens könne Putin auch sehr irrationale Entscheidungen fällen. „Einmal begonnene Kriege entwickeln ihre eigene Dynamik“, sagt der deutsche Konfliktsoziologe und Afghanistanexperte Jan Köhler. Mit dem russischen Eingreifen könnte der Syrienkonflikt über sich selbst herauswachsen.
Putin nennt Luftschläge "Prävention"
Der Westen fürchtet, dass der umstrittene Präsident Assad eine Intervention des Partners Russland zum Kampf gegen die Opposition und die Zivilbevölkerung nutzen könnte. Putin sagte, er rechne mit Assads "Kompromissbereitschaft" bei der Lösung der Krise. Russland betreibt in der syrischen Hafenstadt Tartus eine wichtige Militärbasis.
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Putin bezeichnete die Luftangriffe als "Präventivschlag". Terroristen müssten in den besetzten Gebieten "vernichtet" werden - "statt zu warten, dass sie zu uns kommen". Alle Partner seien informiert.
Russisch-orthodoxe Kirche spricht von "heiligem Kampf"
Russland werde eine Sondersitzung des Weltsicherheitsrates auf Ministerebene beantragen, kündigte Föderationsratschefin Valentina Matwijenko an. "Es geht darum, die Situation im Nahen Osten in allen Aspekten zu analysieren und über eine entsprechende Resolution abzustimmen", sagte sie. Russland rechne im Kampf gegen den Terror mit der Unterstützung der internationalen Gemeinschaft.
Russlands militärisches Engagement in Syrien ist in der Bevölkerung nicht unumstritten - auch aus Furcht, das Land könne Anschlagziel von Islamisten werden. In einer aktuellen Umfrage sprechen sich nur sechs Prozent der Russen für eine solche Intervention aus. Unterstützung kommt aber von der Russisch-orthodoxen Kirche. "Der Kampf gegen den Terror ist ein heiliger Kampf. Und unser Land ist heute wohl die aktivste Kraft weltweit, die gegen ihn vorgeht - nicht im eigennützigen Interesse, sondern weil der Terrorismus unmoralisch ist", sagte der einflussreiche Oberpriester Wsewolod Tschaplin.
Putin will Dreier-Allianz mit USA und Syrien
Mit dem grünen Licht für eine Intervention knüpft Putin an seine Rede bei den Vereinten Nationen am Montag an, in der er einen gemeinsamen Kampf gegen den IS gefordert hatte. In New York hatte er auch mit US-Präsident Barack Obama gesprochen. Putin schlägt eine Allianz vor, an der sich auch die Armee des syrischen Regimes beteiligen soll. Obama sieht aber die Zukunft des kriegsgeplagten Landes nach einer Übergangszeit ausschließlich ohne Assad, den er in seiner Rede bei der UN-Vollversammlung als "Tyrannen" bezeichnet hatte.
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Konstantin Kossatschjow, Leiter des Auswärtigen Ausschusses des Föderationsrates, sagte, es gehe nicht um Assad. "Im Unterschied zu anderen Staaten, die im Nahen Osten agieren, führt Russland einen Kampf gegen den Terror und strebt nicht einen Regimewechsel an."
Zuletzt hatte sich Oberbefehlshaber Putin während der Krim-Krise 2014 eine solche Erlaubnis des Föderationsrats erteilen lassen, damals für einen möglichen Militäreinsatz in der Ukraine. Offiziell machte er davon keinen Gebrauch. Die Ukraine wirft Russland vor, die Separatisten im Osten des Landes mit Kämpfern zu unterstützen. (mit dpa)