Berlin. . Jung, männlich, muslimisch: So ist die Mehrzahl der Flüchtlinge aus Syrien. Sie stellen Deutschland vor eine große Herausforderung.
Angela Merkel geht auf Tuchfühlung. Ein Selfie mit der Kanzlerin? Kein Problem. Jeder darf mal. Angela Merkel macht an diesem Morgen Integrationspolitik mit vollem Körperreinsatz: Sie besucht die Flüchtlinge einer Berliner Erstaufnahmestelle, sie trifft die Schüler einer Kreuzberger Willkommensklasse – und die Botschaft ist jedes Mal dieselbe: Beeilt euch, Leute! Schickt die Kinder in die Schule, gebt den Erwachsenen Arbeit. Nutzt den Elan, mit dem die Flüchtlinge kommen, lasst ihn nicht versickern.
Merkels Integrationsbeauftragte sagt es noch deutlicher: „Wir dürfen nicht riskieren, dass die Motivation in Frust umschlägt, weil sie zum Beispiel zu lange auf Sprachkurse warten müssen“, erklärte Staatsministerin Aydan Özoguz (SPD) gegenüber dieser Zeitung. Die meisten Flüchtlinge seien hochmotiviert. „Wichtig ist mir, dass wir diesen jungen Menschen rasch eine Perspektive aufzeigen.“
70 Prozent Muslime
Männlich, jung, muslimisch: 70 Prozent der Flüchtlinge, die in diesem Jahr nach Deutschland gekommen sind, waren Muslime, es kamen doppelt so viele Männer wie Frauen, die Hälfte war unter 25 Jahre alt. Das obere Drittel ist gut ausgebildet - das untere hat gewaltige Defizite. Jeder vierte Flüchtling war sogar noch schulpflichtig.
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Sie verändern das Land - doch Angela Merkel schreckt das nicht: „Unglaublich viel Elan“, sieht die Kanzlerin bei den Neuankömmlingen. „Es lohnt, sich um jedes einzelne Kind zu kümmern“, sagte Merkel nach dem Besuch der Willkommensklasse, in der Flüchtlingskinder Deutsch lernen. Bei den Neuankömmlingen fragt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bei der Antragstellung nach Schulabschlüssen. Im letzten Jahr gaben 15 Prozent an, eine Hochschule besucht zu haben, weitere 16 Prozent waren auf einem Gymnasium. 35 Prozent hatten eine Mittelschulbildung, 24 Prozent lediglich eine Grundschulbildung. 11 Prozent hatten nach eigenen Angaben gar keine Schule besucht.
Viele Gutqualifizierte
Unter den Syrern gibt es deutlich mehr Gutqualifizierte: 78 Prozent der syrischen Flüchtlinge, die zwischen Januar 2013 und September 2014 nach Deutschland kamen, stammten aus durchschnittlichen oder sogar guten wirtschaftlichen Verhältnissen. Rund 21 Prozent hatten eine Fachhochschule oder Uni besucht, rund 22 Prozent ein Gymnasium und rund 47 Prozent eine Grund- oder Mittelschule. Wenige hatten keine Schule besucht.
Für die Integration der Syrer seien das gute Voraussetzungen, heißt es beim BAMF. Es gebe aber hier genauso wie bei den anderen Flüchtlingsgruppen Schwierigkeiten mit der Anerkennung der mitgebrachten Abschlüsse und den fehlenden Deutschkenntnissen. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) warnte deswegen am Donnerstag erneut: Der syrische Arzt sei nicht der Normalfall. Nicht einmal jeder zehnte Flüchtling bringe die Voraussetzungen mit, um direkt in eine Arbeit oder Ausbildung vermittelt zu werden.
Nicht nur liberal Denkende
Auch Salem El-Hamid, Generalsekretär der deutsch-syrischen Gesellschaft, warnt vor einem zu gutgläubigen Blick auf die Neuankömmlinge: „Wer glaubt, dass nur liberal denkende Leute kommen, sieht nur mit einem Auge hin“, sagte El-Hamid dieser Zeitung. Unter den syrischen Flüchtlingen seien nicht nur Menschen aus allen sozialen Schichten. Es seien auch alle religiösen Varianten dabei - von Fanatikern bis zu westlich orientierten Liberalen. „Es kommen auch Salafisten“, ist El-Hamid überzeugt. „Man darf die Gefahren nicht verschweigen.“
Weniger Christen
Die Zahl der muslimischen Flüchtlinge ist in den letzten Monaten angestiegen: Knapp 70 Prozent der Asylsuchenden, die zwischen Januar und Juli dieses Jahres einen Asylantrag in Deutschland gestellt haben, waren Muslime. Im Jahr zuvor waren es insgesamt gut 63 Prozent. Die Zahl der asylsuchenden Christen dagegen geht zurück: In der ersten Hälfte des Jahres lag ihr Anteil bei 17,6 Prozent, im Jahr zuvor waren es noch rund 25 Prozent.
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Sorge bereitet Verfassungsschützern und Flüchtlingsexperten, dass Salafisten in den Flüchtlingsheimen versuchen, neue Anhänger zu rekrutieren. Der größte Teil der Flüchtlinge sei für Salafisten vermutlich nicht empfänglich, sagt Alex Stathopoulos, Flüchtlingsexperte von Pro Asyl dieser Zeitung: „Aber es gibt eine Gefahr bei jugendlichen Flüchtlingen. Inländische Salafisten haben hier schon versucht, Zugang zu finden.“ Hier bestehe eine besondere Fürsorgepflicht: „Wir müssen dafür sorgen, dass sich junge Flüchtlinge in die Gesellschaft integrieren können – und wir müssen vor Ort sehr genau schauen, welche Gruppen ihre Hilfe anbieten.“