Düsseldorf. Rot-Grün will Überkapazitäten bei den Müllöfen mit neuen Entsorgungsregionen eindämmen – und befeuert eine Debatte über steigende Gebühren.

Mülltourismus? 90 Prozent der Abfälle, die in den landesweit 16 Hausmüllverbrennungsanlagen verfeuert werden, stammen aus Nordrhein-Westfalen. Nur knapp sechs Prozent der Müllmenge wird aus anderen Bundesländern angeliefert, gar nur drei Prozent aus dem Ausland. Dennoch ist sich NRW-Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) sicher, dass in einen zunehmenden Wettbewerb der Anlagenbetreiber um den Abfall eingegriffen werden muss. Mit unkalkulierbaren Folgen für Gebührenzahler und Kommunen.

Die 16 Müllöfen in NRW können sechs Millionen Tonnen Hausabfall verbrennen. Experten gehen aber davon aus, dass eine schrumpfende Bevölkerung, ein umweltbewussterer Lebensstil und Recycling-Erfolge bereits in zehn Jahren ein Drittel dieser Verbrennungskapazität überflüssig machen werden. Schon heute können Kommunen ohne eigene Anlage zwischen günstigen Angeboten wählen – zur Freude ihrer Gebührenzahler.

Gebührenzahler subventionieren Gewerbe-Abfälle

Städte, die vor mehr als 20 Jahren in teure Öfen investierten, haben dagegen einige Not, die teuren Fixkosten wieder hereinzuholen. Sie bieten auch Gewerbetreibenden die Entsorgung zu „Dumping-Preisen“ an. Mit doppelt negativen Folgen: Für Firmen wird eine stoffliche Verwertung ihrer Abfälle unwirtschaftlich, und die normalen Gebührenzahler subventionieren den Wettbewerb um industrielle Abfälle indirekt mit.

Remmels Antwort auf die Schieflage ist der „ökologische Abfallwirtschaftsplan“. Das Kabinett von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) hat den Plan im Frühjahr beschlossen, der Landtag soll ihn bis Anfang 2016 in Kraft setzen. Der Umweltminister will den Kommunen fünf feste Entsorgungsregionen zuweisen, um einen Ausgleich zwischen Städten mit und ohne eigenen Müllofen zu schaffen. Dem Kreis Viersen etwa waren 2013 die Verbrennungsgebühren im benachbarten Krefeld zu teuer, deshalb ließ man die Müllwagen ein paar Kilometer weiter nach Köln rollen. Die Viersener Bürger durften sich über sinkende Gebühren freuen, die Krefelder schauten in die Röhre.

Kritik am Anschlusszwang

Mit dem ruinösen Wettbewerb soll nun Schluss sein, doch es hagelt Kritik. Die Grenzen der Entsorgungsregionen werden als willkürlich und planwirtschaftlich empfunden. Der Kölner SPD-Landtagsabgeordnete Stephan Gatter monierte jetzt, dass der Kölner Vorort Pulheim seinen Müll künftig nicht mehr in die Domstadt bringen dürfe. Die kommunalen Spitzenverbände sehen die dringend benötigten Städte-Kooperationen durch die Grenzziehungen unnötig erschwert. Das Problem der Überkapazitäten sei erst entstanden, weil seit 1996 die Entsorgung der industriellen und gewerblichen Abfälle nicht mehr in der Zuständigkeit der Kommunen liege. Die meisten der 16 Müllöfen in NRW seien aber vorher gebaut worden.

Der Bund der Steuerzahler fordert, die fällige Marktbereinigung bei den Müllverbrennungsanlagen dem freien Wettbewerb zu überlassen. Es könne nicht sein, dass durch die festen Entsorgungsregionen einigen Verbrennungsanlagen wie jener in Bielefeld jahrelange Planungssicherheit verschafft werde, anderen in Ballungsräumen dagegen die Möglichkeit zum Konkurrieren um Müllmengen genommen. Sogar SPD-Mann Gatter prophezeit eine ungute Entwicklung, die viele Bürger auf dem Bescheid ihrer Kommune bald werden ablesen können: „Sollte die Verordnung umgesetzt werden, werden die Müllgebühren steigen.“