Berlin. . Aufgeheizte Stimmung: Kanzlerin Merkel trifft in Heidenau auf den Mob und wird ausgebuht. Gauck verurteilt in Berlin ausländerfeindliche „Hetzer“.
Angela Merkel wird mit Pfiffen und Buhrufen empfangen. Die Kanzlerin bekommt alles genau mit, die letzten Meter zur Flüchtlingsunterkunft in Heidenau legt sie zu Fuß zurück – die Demonstranten in Hörweite. Die CDU-Politikerin wird im Laufe der nächsten fast 90 Minuten gegenüber den Flüchtlingen kein Wort darüber verlieren. Sie ignoriert den Mob.
Nur gegenüber den Journalisten wird sie deutlich, allerdings nicht so wie am Montag Vize-Kanzler Sigmar Gabriel. Vom „Pack“ redet sie nicht. Merkel bemerkt nur, „es gibt keine Toleranz gegenüber denen, die die Würde anderer Menschen infrage stellen“.
Von Null auf Hundert binnen einer Woche
Hunderte Menschen säumen die Bundesstraße 172 auf der Höhe des „Praktikers“, wie die Leute hier noch immer sagen. In dem seit nunmehr drei Jahren stillgelegten Baumarkt der gleichnamigen Kette werden die Asylbewerber in der sächsischen Stadt untergebracht. Am Mittwoch wurde das DRK mit dem Aufbau beauftragt. Am Freitag ereigneten sich die ersten schweren Krawalle. Und seit Mittwoch leben hier 575 Menschen – Maximalauslastung. Im unteren Bereich hat das DRK 40 Toiletten und 16 Duschen aufgestellt. „Wir wollen noch mehr“, versichert Oliver Wehner, DRK-Chef in der Region.
Auch interessant
Das DRK hat schnell gehandelt: Von Null auf Hundert binnen einer Woche. Trotzdem behaupten die Leute, „das war nicht gut vorbereitet“. Es ging zu schnell. Die Stadt hatte keine Zeit, sich darauf einzustellen, geschweige denn ihre Bürger schonend darauf vorzubereiten. Viele sind sauer. „Für alles habt ihr Geld, bloß für eure eigenen Leute nicht“, ruft ein Demonstrant aus.
Der Ruf „Wir sind das Volk“ ertönt, dann – in Anspielung auf Gabriels Kritik: „Wir sind das Pack“. Immer wieder wird „Lügenpresse, Lügenpresse“ skandiert. Jemand hält ein Transparent hoch: „Volksverräterin“. Gemeint ist Merkel.
Die Störer sind keine "Glatzen", sie wirken wie normale Leute
Die Störer sind keine „Glatzen“, sie wirken wie normale Leute. Mitläufer und Schaulustige kann man nicht von rechtsextremen Aktivisten unterscheiden. Jürgen Opitz, der Bürgermeister der sächsischen Kleinstadt und ein Parteifreund Merkels sagt: „Die Mehrheit ist nicht so.“
Auch interessant
Merkel wird von den Flüchtlingen mit Applaus empfangen. Viele lassen sich mit ihr fotografieren. Manche wollen von der Kanzlerin wissen, wie lange ihr Verfahren dauern wird und wann sie arbeiten dürfen. Merkel verspricht, dass die Verfahren beschleunigt werden.
Merkel geht durch ihre Reihen und erkundigt sich, woher einer kommt, wie lange er unterwegs war oder wie es seiner Familie gehe. Die Menschen kommen vornehmlich aus Afghanistan, dem Irak, Eritrea, Syrien oder Libyen. Man schätzt, dass sie zu 98 Prozent als Asylbewerber anerkannt werden.
Gauck schüttelt Hände in Berlin
Es ist Merkels erster Besuch in einem Flüchtlingsheim. Sie hatte lange gezögert. Jetzt erklärt die Kanzlerin, sie habe die „menschliche Gestalt“ dessen gesehen, was die Gesetze vorgeben, also das Recht darauf, einen Asylantrag stellen zu dürfen. Deutschland helfe, wo Hilfe geboten sei. „Das wird noch viel Kraft verlangen.“ Ausdrücklich dankte sie denen, „die auch vor Ort Hass zu ertragen haben – dass sie das ertragen“.
Auch interessant
Nicht nur die Kanzlerin ist an diesem Tag unterwegs. Auch der Bundespräsident möchte nach dem Krawall-Wochenende von Heidenau ein Zeichen setzen. Joachim Gauck besucht das Flüchtlingsheim im alten Rathaus von Berlin-Wilmersdorf.
Als Gauck kommt, entsteht sofort großes Gedränge. Der Bundespräsident geht auf die Flüchtlinge zu, schüttelt Hände. 563 Flüchtlinge sind in dem ehemaligen Rathaus untergebracht.
Gaucks Signal: Euer Schicksal ist uns nicht egal
Gauck geht rein, will sich die Zimmer anschauen. Nach seinem Besuch findet er deutliche Worte. Ein Satz ist lang und kompliziert, aber es steckt viel in ihm drin: „Es gibt ein helles Deutschland, das sich leuchtend darstellt gegenüber dem Dunkeldeutschland, das wir empfinden, wenn wir von Attacken auf Asylbewerberunterkünfte oder gar fremdenfeindlichen Aktionen gegen Menschen hören.“
Flüchtlinge in DeutschlandDeutschland sei ein offenes und hilfsbereites Land, sagt Gauck. Er spricht die Ausländerfeinde direkt an: „Ihr repräsentiert uns nicht.“ Er glaubt, dass Länder und Kommunen „Abläufe beschleunigen, vielleicht auch vereinfachen“ können. An die Flüchtlinge gewandt sagt er: „Es darf auch keine Anspruchshaltung entstehen.“
Für Gauck, der auch schon mal öffentlich weint, ist es fast ein dezenter Auftritt. Er agiert mit wenig Pathos, spricht die Probleme klar an, zeigt Zuversicht. Und gibt den Menschen damit das Signal: Eurer Schicksal ist uns nicht egal.