Brüssel. . Das militärische Vorgehen der Türkei gegen die PKK beunruhigt die Nato. Offene Kritik an ihrem Bündnismitglied vermeidet sie aber.

Die Türkei hat die Konflikte an ihrer Südgrenze am Dienstag auf eine neue internationale Ebene gehoben: In Brüssel trafen sich auf Antrag der Türkei die Botschafter der 28 Nato-Länder zu einer Krisensitzung. Diese kann ein Land verlangen, wenn es sich in seiner Sicherheit bedroht sieht.

Konkrete Anliegen trug die Türkei allerdings keine in den Nordatlantikrat. Vielmehr versuchte das Land, politische Unterstützung für seine Bombardierungen gegen Stellungen des Islamischen Staats (Isis) in Syrien zu gewinnen. Das gelang der Türkei: "Alle Alliierten sind mit der Türkei solidarisch", sagte der Generalsekretär des Verteidigungsbündnisses, Jens Stoltenberg, nach dem Treffen.

Türkei stürzt europäische Nato-Länder in ein Dilemma

Der Nordatlantikrat verurteilte die Terroranschläge in der Südtürkei sowie die Angriffe auf türkische Polizisten, und Stoltenberg sagte ausdrücklich: "Ich begrüße die verstärkten Anstrengungen der Türkei, Isis zu bekämpfen." Die Türkei sei eine stramme Alliierte, die über sehr fähige Truppen verfüge.

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Die europäischen Nato-Länder stürzen durch das Vorgehen der Türkei jedoch in ein Dilemma. Die Türkei hat in den vergangenen Tagen nicht nur IS-Stellungen in Syrien, sondern auch kurdische Einheiten der PKK im Nordirak bombardiert. Das ist widersprüchlich, denn die PKK arbeitet mit den Kurden in Syrien zusammen, welche gegen den IS kämpfen. Zudem werden die PKK-Einheiten im Nordirak von europäischen Ländern und den USA bewaffnet und trainiert, um den IS zu bekämpfen.

Erdogan beendet Friedensprozess mit den Kurden

Beim Treffen der Botschafter vermieden es die europäischen Vertreter, die Türkei wegen der Bombardierungen der PKK offen zu kritisieren. Sie mahnten lediglich, die Verhältnismäßigkeit zu wahren. Und sie drückten ihre Hoffnung aus, dass die Türkei den Friedensprozess aufrecht erhalten werde – in Unkenntnis davon, dass am Dienstag gleichzeitig Präsident Recep Tayip Erdogan in Ankara den Friedensprozess für beendet erklärte.

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"Es ist nicht möglich, einen Lösungsprozess fortzuführen mit denjenigen, die die Einheit und Integrität der Türkei untergraben", sagte Erdogan. Er rechtfertigte das Ende der Entspannungspolitik mit den Angriffen von Kurden auf türkische Polizisten in den vergangenen Tagen. Erdogan kommt die neue Eskalation aus innenpolitischen Gründen gelegen: Bei den vergangenen Wahlen hatte die liberale kurdische Partei HDP eine absolute Mehrheit für Erdogans Partei verhindert. Das Wiederaufflammen des Kurdenkonflikts erlaubt es Erdogan, sie in die Extremismus-Ecke zu drängen.

Türkei sucht wieder die Nähe zu den USA

Die Bombardierungen der IS-Stellungen in Syrien wiederum dürften Teil der neuen geopolitischen Positionierung der Türkei sein: Sie suchen nun wieder die Nähe zu den USA, nachdem durch das Atomabkommen zwischen dem Iran und dem Westen das Machtgefüge im Nahen Osten in Bewegung geraten ist.

Vordergründig lässt die Nato Erdogan dabei freie Hand. Sie überlässt die Führung direkt den USA, die eng mit der Türkei zusammenarbeiten. US-Flugzeuge sollen künftig von der Türkei aus Stellungen des IS bombardieren, zudem haben sich die USA und die Türkei auf die Einrichtung einer Flugverbotszone im Nordirak verständigt. Das sei eine bilaterale Angelegenheit der beiden Länder, sagte Nato-Generalsekretär Stoltenberg.

Nato will nicht in den Kampf gegen den IS hineingezogen werden

Die Nato vermeidet es bisher auch peinlichst, direkt in den Kampf gegen den IS einbezogen zu werden, obwohl die meisten ihrer Mitglieder Teil der internationalen Allianz gegen den IS sind. Nach den Einsätzen in Irak und Afghanistan will die Nato nicht schon wieder aktiv in einem Konflikt in einem muslimischen Land in Erscheinung treten.

Die Frage könnte sich der Nato aber bald erneut stellen. Beobachter gehen davon aus, dass die Türkei die Nato um militärische Unterstützung bitten könnte. Das Treffen vom Dienstag sei hauptsächlich von symbolischem Gehalt, sagte etwa Ege Seçkin, Türkei-Analyst bei IHS in London, dem "Wall Street Journal. Aber es ist vermutlich ein erster Schritt zu einem Unterstützungsantrag." Heute sind bereits Patriot-Abwehrraketen in der Südtürkei stationiert, allerdings nicht zum Schutz vor dem IS, sondern vor Raketen des syrischen Diktators Baschar Assad. Die Patriot-Einheiten stehen vorerst unverändert im Einsatz.