Ankara. . Nach dem blutigen Anschlag mit Dutzenden Toten stehen Politiker und Bürger in der Türkei unter Schock. Opfer waren linksgerichtete Jugendliche.

Nach dem Selbstmordanschlag in der türkischen Grenzstadt Suruc, bei dem am Montag mindestens 32 Menschen getötet und mehr als 100 verletzt wurden, kommt die Regierung in Ankara in Zugzwang. Das Attentat geht offenbar auf das Konto der Dschihadisten-Miliz „Islamischer Staat“ (IS).

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In Istanbul und in der Kurdenmetropole Diyarbakir gingen mehrere Tausend Menschen aus Protest gegen den Anschlag auf die Straße. Sie skandierten auch Slogans gegen die konservativ-islamische AKP-Regierung. Viele machen AKP mitverantwortlich für den Anschlag. Sie toleriere den IS in der Türkei oder unterstütze die Terrormiliz sogar, so der Vorwurf. In Istanbul löste die Polizei die Demonstration mit Tränengas auf.

Die Bombe explodierte im Garten des Kulturzentrums

Das am Montagvormittag verübte Attentat richtete sich gegen eine Versammlung von etwa 300 kurdischen und linksgerichteten jungen Leuten, die von Suruc aus über die nur zehn Kilometer entfernte syrische Grenze zur Kurdenstadt Kobane ziehen wollten, um dort beim Wiederaufbau zu helfen. Die Bombe detonierte im Garten eines Kulturzentrums, wo sich die Teilnehmer des Wiederaufbauprojekts zu einem Frühstück und zu einer Pressekonferenz versammelt hatten.

Kobane war im vergangenen Jahr während einer monatelangen Belagerung durch den IS weitgehend zerstört worden. Kurdische Peschmerga-Kämpfer aus dem Nordirak kamen den syrischen Kurden schließlich zur Hilfe und vertrieben den IS aus Kobane. „Wir haben Kobane gemeinsam verteidigt, und wir werden es gemeinsam wieder aufbauen“, stand auf einem Spruchband, das in dem Garten aufgespannt war. Dann explodierte vor laufenden Fernsehkameras die Bombe.

Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu sagte, hinter dem Selbstmordattentat stecke „mit größter Wahrscheinlichkeit“ der IS. Die Ermittler hätten einen Verdächtigen identifiziert, sagte Davutoglu, ohne Einzelheiten zu nennen. Nun werde im Umfeld des möglichen Täters ermittelt, um Verbindungen ins In- und Ausland aufzudecken.

Nach türkischen Medienberichten soll eine junge Frau das Attentat verübt haben. Die Zeitung „Hürriyet“ meldete unter Berufung auf Ermittler auf ihrer Internetseite, die Täterin sei eine 18-jährige IS-Kämpferin gewesen.

Türkischer Geheimdienst informierte über Anschlagsgefahr

Offenbar kam der Anschlag nicht völlig überraschend. Der türkische Geheimdienst MIT habe politische Stellen und die Polizei bereits am 22. Juni und erneut am 3. Juli über drohende Anschläge des IS in der Türkei informiert, berichteten türkische Medien. Konkret habe der MIT die Namen von sieben mutmaßlichen IS-Kämpfern genannt, die aus Syrien illegal in die Türkei eingereist seien.

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Als Reaktion auf die Warnungen des Geheimdienstes hatte die Polizei kürzlich Razzien in Istanbul, Ankara, Sanliurfa, Konya und Izmir durchgeführt. Dabei wurden 97 Personen festgenommen. Die sieben vom Geheimdienst MIT genannten Personen sollen jedoch nicht darunter gewesen sein. Nach einem Bericht der Zeitung „Habertürk“ suchte die Polizei bereits vor dem Anschlag nach drei Frauen, die als mögliche Selbstmordattentäterinnen galten. Eine von ihnen soll den Anschlag verübt haben.

Mehr als 1,8 Millionen syrische Flüchtlinge kamen in die Türkei

Die pro-kurdische Demokratische Partei der Völker (HDP), einer der Initiatoren des Aufbauprogramms für Kobane, übte nach dem Blutbad scharfe Kritik an der islamisch-konservativen Regierung. Die Behörden hätten von Anschlagsplänen gewusst, aber nicht genug unternommen, um sie verhindern, sagte der HDP-Abgeordnete Mithat Sancar. Der HDP-Vorsitzende Selahattin Demirtas rief seine Partei auf, Maßnahmen zum Schutz ihrer Büros zu ergreifen.

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Schon während der Belagerung von Kobane hatten türkische Kurden der Regierung vorgeworfen, sie sehe untätig zu. Im Raum stehen auch Vorwürfe, der türkische Geheimdienst habe syrische Oppositionsgruppen mit Waffen versorgt – darunter auch den IS.

Seit Langem sorgt außerdem für internationale Kritik, dass die Türkei ihre 900 Kilometer lange Grenze zu Syrien nicht ausreichend sichert. Das ist auch objektiv schwierig, weil seit Beginn des syrischen Bürgerkrieges mehr als 1,8 Millionen Flüchtlinge in die Türkei kamen. Andererseits belegen zahlreiche Zeugenaussagen und Videoaufnahmen, dass es an der Grenze einen regen, von den türkischen Behörden geduldeten Verkehr von IS-Kämpfern und Sympathisanten gibt – darunter offenbar viele angehende Dschihadisten, die aus westlichen Ländern kommen oder in der Türkei vom IS rekrutiert wurden.

Auf Druck der USA hatte die Türkei Anfang Juli die Grenzkontrollen verschärft. Jetzt erklärte Premierminister Davutoglu, man werde weitere Maßnahmen zur Sicherung der Grenze prüfen.