Berlin/Dortmund. Drei Berliner, ein Projekt: Mit „Flüchtlinge Willkommen“ werden Flüchtlinge in WGs vermittelt. In Dortmund hat Hosam ein neues Zuhause gefunden.
Hosam kam allein als Minderjähriger nach Deutschland, musste seine Familie in Syrien zurücklassen. Seine erste Station ist ein Flüchtlingsheim, hier teilt er das Schicksal mit vielen anderen geflohenen Menschen. Ein Foto auf dem Handy erinnert ihn an seine Liebsten in der Heimat, er vermisst seine Eltern und Geschwister. Doch Hosam kann sein Heimweh für eine Zeit vergessen: Edina Wolff aus Dortmund nimmt den mittlerweile 18-Jährigen in ihrer Wohnung auf, unbefristet und mietfrei.
Auch interessant
Edina Wolff (53) hat sich bei „Flüchtlinge Willkommen“ registriert. Was wie ein Begrüßungsschild am Ankunftsschalter eines Flughafens klingt, ist in Wirklichkeit eine Non-Profit-Organisation, die Flüchtlingen ein Zuhause gibt – und keine simple Unterkunft. Das Projekt möchte weg von dem Bild „Flüchtling als Störenfried“, setzt stattdessen auf eine neue Willkommenskultur, in der Vorurteile bekämpft werden. Jeder, der helfen möchte, kann auf der Online-Plattform ein Zimmer in seiner Wohngemeinschaft anbieten. Die anteilige Miete wird von den örtlichen Sozialämtern oder Jobcentern übernommen.
Am Anfang war Bakari
Die Berlinerin Mareike Geiling entscheidet sich im Herbst 2014, für ein halbes Jahr beruflich nach Kairo zu gehen. In der WG mit Jonas Kakoschke wird so ein Zimmer frei, normalerweise würde Mareike eine Anzeige bei Internet-Wohnungsbörsen schalten. Doch die Medien überschlagen sich täglich mit Schreckensmeldungen aus Flüchtlingsheimen, sie gelten als Ghetto am Rande des Stadtgebiets. Irgendetwas muss passieren. Mareike und Jonas ergreifen die Initiative und stellen das freie Zimmer einem Flüchtling zur Verfügung. Freunde und Bekannte bitten sie um Geld für die anfallende Miete, über mögliche Finanzierungsmöglichkeiten wissen sie zu diesem Zeitpunkt kaum etwas. Die Reaktionen sind durchweg positiv, das private Crowdfunding ein voller Erfolg.
Wenige Monate später steht Bakari, ein Flüchtling aus Mali, mit gepackten Koffern vor ihrer Haustür. Automatisch drängt sich die Frage auf: Kann dieses Konzept nicht auch in anderen Wohngemeinschaften funktionieren? Ein Versuch ist es wert. Mit Golde Ebding holen sich Mareike und Jonas eine studierte Sozialarbeiterin ins Team, die bereits Flüchtlinge im Auftrag der Diakonie auf ihrem Weg unterstützt hat.
Fast täglich kommen Hilferufe aus Syrien
Die Idee findet in der Tat großen Zuspruch: Seit dem Start des Projekts im November 2014 sind mehr als 1100 WG-Anmeldungen aus ganz Deutschland eingegangen. 50 Flüchtlinge sind bereits in einer WG untergekommen, unter ihnen Hosam in Dortmund. Das Konzept war von Anfang an ergebnisorientiert und wird bei Bedarf neu ausgerichtet. Zum Beispiel wurde ein Monat nach Online-Start ein Registrierungsformular für Flüchtlinge auf der Website integriert, zusätzlich zum WG-Anmeldeformular. Grund: Immer mehr Flüchtlinge nutzten das WG-Formblatt – was zu Chaos in der Datenbank führte. „Seit einiger Zeit erreichen uns mehrmals wöchentlich auch Mails von Menschen, die sich noch in Syrien und anderen Ländern aufhalten mit der Bitte, ihnen zu helfen“, erklärt Mareike.
Ohne Spenden funktioniert nichts
Aus Überzeugung ist ein Full-Time-Job geworden. Mareike kann ihre Arbeitszeit nur schätzen, auf 50 bis 60 Stunden pro Woche. Zusätzlich arbeiten 25 Ehrenamtliche für das Projekt. „Eine goldene Nase verdienen wir uns dabei nicht, was aber auch nicht schlimm ist. Für Tiefkühlpizza und Miete reicht es“, sagt Mareike. Überhaupt finanziere sich das Projekt zum größten Teil durch Spenden. Immerhin: Die Stiftung Mercator hat am Freitag zugesagt, ein Drittel der Projektausgaben zu übernehmen.
Auch interessant
„Flüchtlinge Willkommen“ hat einen idealistischen Anspruch, die Herausforderungen sind groß. Vor allem die bürokratischen Hürden erschweren die Vermittlungen, immer muss geprüft werden, welche Gesetze vor Ort gelten. In NRW ist es durch das Flüchtlingsaufnahmegesetz beispielsweise so geregelt, dass 18 Prozent der anfallenden Kosten für Flüchtlinge von Bund und Land übernommen werden – der Rest muss aus der Stadtkasse bezahlt werden. „Da bleiben wir auf einem ganz schönen Batzen sitzen“, sagt Volker Wiebels, Pressesprecher der Stadt Mülheim. Allein hier muss die Stadt 7,5 Millionen Euro für knapp 1000 Flüchtlinge in diesem Jahr aufwenden. Anders sieht es bei den Nachbarn in Niedersachsen aus. Hier bezahlen die Kommunen 18 Prozent der anfallenden Kosten, den Löwenanteil übernimmt das Land mit 77 Prozent, fünf Prozent gehen zurück auf den Bund. Andere Länder, andere Vermittlungsbarrieren.
Jeder darf ein Zuhause haben
Ob anerkannt, geduldet oder illegal: Bei Mareike, Jonas und Golde hat jeder Flüchtling die Chance auf ein Zuhause. Ausgenommen sind Familien und alleinreisende Kinder. Aus Platzgründen sei die Vermittlung von mehreren Personen in eine WG schwierig, bei Minderjährigen müsse zu den üblichen Behörden das Jugendamt eingeschaltet werden – ein Spießrutenlauf. „Allerdings bekommen wir viele Anfragen von unter 18-Jährigen“, erklärt Mareike.
Über 1000 WG-Anmeldungen, aber „erst“ 50 erfolgreiche Vermittlungen. Wie kann das sein? "Viele melden sich in der ersten Euphorie im Portal an. Wenn wir dann aber den Kontakt suchen, hören wir nichts mehr von ihnen", sagt Mareike. Davon abgesehen sei es schlichtweg ein personelles Problem, diese Flut an Angeboten und Hilferufen unter einen Hut zu bringen. Wenn organisatorisch aber alles glatt läuft, kann ein Flüchtling innerhalb von zwei bis vier Wochen nach Anmeldung vermittelt werden.
Auch interessant
Willkommenskultur vor Ort und international
"Flüchtlinge Willkommen" hat große Kreise gezogen, auch im Nachbarland Österreich leben schon 25 Flüchtlinge in WGs - und das soll erst der Anfang sein. "Unser Konzept soll in diesem Jahr auch in den Niederlanden, der Schweiz, in Frankreich, Italien, Portugal und Griechenland starten", erklärt Mareike. Der gemeinnützige Verein legt großen Wert auf Vernetzung, regelmäßig finden Treffen in den Städten statt, in denen Flüchtlinge bereits vermittelt worden sind. So verbreitet sich die Idee der Willkommenskultur, auch über Ländergrenzen hinweg.
Auf Anfrage der WAZ standen Edina und Hosam für ein Interview nicht zur Verfügung, zu groß war der Presserummel um ihre Person in den vergangenen Monaten. Aus einem WDR-Beitrag des Studio Dortmunds Ende Mai wurde jedoch deutlich, dass beide von ihrem ungewöhnlichen Zusammenleben profitieren: Hosam hat ein Dach über den Kopf und jemanden an seiner Seite, der ihn in allen Lebenslagen unterstützt, Edina lernt durch ihren neuen Mitbewohner eine neue, spannende Kultur kennen. Für sie steht fest: "Ich habe mehr von ihm als er von mir".