Düsseldorf. . Grundnahrungsmittel gehen zur Neige, Medikamentenvorräte in Kliniken schrumpfen - die Griechen spüren nun die Folge der ausbleibenden Finanzhilfen.
„Millionen, Millionen“ ruft der alte Manolis. Der Losverkäufer steht an einem der Ausgänge der U-Bahn-Station am Athener Omoniaplatz. An einer langen Holzlatte, in dessen obere Hälfte schräg kleine Kerben eingesägt sind, bietet er seine Lose feil – kleine, bunt bedruckte Zettel des „Ethniko Lacheio“, der staatlichen Nationallotterie. Jedes der Lose trägt eine eingeprägte Nummer und eine Art Gütesiegel der Hellenischen Republik.
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Wer zehn Euro für ein Los lockermacht, hat immerhin die Chance auf den Hauptgewinn von zwei Millionen Euro. Aber Manolis findet in diesen Tagen kaum Interessenten für seine Lose. „Das Geld sitzt nicht mehr so locker“, sagt der Verkäufer. „Die Menschen sind verunsichert, sie haben Angst vor dem, was kommt.“
Die letzte Chance - wirklich, wirklich die allerletzte
Aber was kommt? In der Villa Maximos, dem Amtssitz von Ministerpräsident Alexis Tsipras an der Athener Herodes-Attikus-Straße folgt an diesem Donnerstag eine Krisensitzung auf die andere. Fallen die Griechen mit ihrer Liste bei den Europäern erneut durch, wie schon mit früheren Reformkonzepten, wird es am Sonntag für die Staats- und Regierungschefs wohl nur noch darum gehen, Griechenland aus dem Euro zu verabschieden. Dies sei „die allerletzte Chance“, sagt Oppositionspolitiker Stavros Theodorakis.
„Die letzte Chance – wie oft haben wir das schon gehört?“ versucht sich Ioannis Voulgaris zu erinnern. Der Mittsechziger betreibt ein kleines Schmuckgeschäft an der Hermes-Straße, Athens beliebtester Einkaufsmeile. Voulgaris sitzt in einem Ledersessel in der hinteren Ecke seines Geschäfts und schlürft einen Kaffee. Aufstehen muss er in diesen Tage nur selten. „Gestern hatte ich vier Kunden in zehn Stunden“, sagt er.
„Es waren Touristen – wenigstens die kaufen noch.“ Griechen kommen kaum noch in seinen Laden, seit die Banken am Montag vergangener Woche zumachten. Erst war von wenigen Tagen die Rede. Daraus wurden zwei Wochen. Jetzt bleiben die Geldinstitute noch bis mindestens Mittwoch zu. „Ein Land ohne Banken - wie soll das gehen?“, fragt der Schmuckhändler. Voulgaris hat schon viel mitgemacht.
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Zum Beispiel die Unruhen vom Dezember 2008, als nach dem Tod eines Schülers durch eine Polizeikugel in Athen nächtelang Banken und Geschäfte brannten. Oder die schweren Straßenschlachten vom Frühjahr 2012. Unzählige Male musste Voulgaris seine zertrümmerte Schaufensterscheibe ersetzen. „Aber diesmal geht es um alles“, sagt der Händler, „es geht um Griechenland.“
Familien leben von Opas Rente
Für Manos Tsikos geht es um 60 Euro. Seit 20 Minuten steht der Rentner nun schon vor dem Geldautomaten der National Bank of Greece im Athener Stadtviertel Pangrati an. „Ich bin mal gespannt, was der Automat hergibt“, sagt Tsikos mit bitterer Ironie. Die „Tagesration“, die man in Griechenland an den Geldautomaten abheben kann, beträgt zwar 60 Euro. „Viel mehr kann ich sowieso nicht ausgeben“, winkt Tsikos ab.
Seine Rente hat man ihm in den letzten Jahren von 1100 auf 840 Euro gekürzt. „Davon leben meine Frau und ich sowie unser 38-jähriger Sohn und dessen Frau.“ Die beiden sind seit drei Jahren arbeitslos und inzwischen in die Dreizimmerwohnung der Eltern gezogen. Die Arbeitslosenquote in Griechenland liegt bei 25 Prozent. Arbeitslosengeld gibt es höchstens für zwölf Monate. Hunderttausende Familien leben deshalb von den Renten der Eltern und Großeltern.
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Wie groß die Angst der Menschen ist, kann man in den Supermärkten sehen. Viele Regale mit Grundnahrungsmitteln sind inzwischen leer. Engpässe gibt es auch beim Fleisch. Drei Viertel des Bedarfs werden importiert. Aber wegen der Kapitalkontrollen stocken jetzt die Einfuhren. Auch in den griechischen Apotheken werden manche Medikamente knapp – „vor allem weil die Menschen in Sorge sind und Arzneimittelvorräte anlegen“, wie ein Apotheker im Athener Stadtteil Neos Kosmos erklärt. Von den rund 12.000 Präparaten, die in Griechenland zugelassen sind, müssen etwa drei Viertel importiert werden. Noch gibt es nach Aussage des Verbandes der Pharmaindustrie (SFEE) ausreichende Lagerbestände. Aber die könnten bald zur Neige gehen, wenn die Kapitalverkehrskontrollen nicht gelockert werden.
Viele wollen nur noch weg
Auch in den speziellen Polizeidienststellen, die für die Ausstellung von Pässen zuständig sind, herrscht größerer Andrang als sonst. Viele wollen einfach nur noch weg aus diesem Land – für immer. Während der fünf Krisenjahre haben über 200.000 junge Griechinnen und Griechen ihre Heimat verlassen.
Jetzt setzt ein neuer Exodus ein. Waren es in den 1960er und 70er Jahren vor allem ungelernte Arbeiter, die nach Westeuropa gingen, so sind es jetzt überwiegend gut ausgebildete, hoch motivierte Fachkräfte und Akademiker, die ihrem Land den Rücken kehren, weil sie dort keine Zukunft sehen – ein schlimmer Aderlass für das Krisenland.