Freyburg. .

Der mittlerweile europaweit durchgeführte und in NRW erfundene Blitzermarathon ist nach Ansicht der Verkehrsrechtsexperten im Deutschen Anwaltverein (DAV) nutzlos. Um die Zahl der Unfalltoten in Deutschland wirklich zu senken, sollte die Polizei an Wochenenden nachts Autofahrer vor Diskos und tagsüber Motorradfahrer überprüfen. Denn anders als diese Gruppen seien Temposünder nur zu einem geringen Teil an tödlichen Unfällen beteiligt, sagt der Koblenzer Rechtsanwalt Jens Dötsch von der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht im DAV.

Kritik: Marathon hält Polizisten von eigentlicher Arbeit ab

Auf einem Seminar der Arbeitsgemeinschaft in Freyburg wertete Dötsch die polizeilichen Statistiken aus. Er wies darauf hin, dass die Angabe der Unfallursache allein auf der ersten Einschätzung eines Polizeibeamten beruhe. Dieser kreuze auch dann überhöhte Geschwindigkeit an, wenn der Unfallverursacher sich an das Tempolimit gehalten habe. Dies sei etwa dann der Fall, wenn Schnee oder Laub auf der Fahrbahn lag und der Fahrer für diese Verhältnisse zu schnell gefahren sei.

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Dötsch: „Diese Unfallfahrer erfassen Sie mit einem Blitzermarathon nicht.“ So seien in der Unfallstatistik für 2013 exakt 48.730 Unfälle mit überhöhter Geschwindigkeit verzeichnet, davon hätten aber nur 2.870 Fahrer gleichzeitig das vorgeschriebene Tempolimit überschritten.

2012 hatte NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) den ersten Blitzermarathon gestartet, ein Jahr später fand er bundesweit statt. In diesem Jahr beteiligten sich auch andere Länder in Europa. Kritiker hatten den Nutzen dieser Aktion angezweifelt und darauf verwiesen, dass dadurch Polizisten von ihrer eigentlichen Arbeit abgehalten würden.

Vor allem die Finanzen im Blick?

Der Hagener Rechtsanwalt Jörg Elsner, Vorsitzender der Verkehrsrechtsanwälte, glaubt, dass Polizei und Ordnungsämter außerhalb des Blitzermarathons vor allem finanziell lukrative Stellen für Radarmessungen auswählen. Elsner: „Meist stehen sie an gut ausgebauten Durchgangsstraßen. Dabei sollen sie an Unfallschwerpunkten, Kindergärten und Schulen eingesetzt werden.“

Niedersachsen erwägt den Ausstieg

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) denkt aufgrund der genannten Zweifel an der Aktion offen über einen Ausstieg aus dem bundesweiten Blitzmarathon nach. "Wir beschäftigen uns sehr ernsthaft damit, uns zukünftig nicht mehr am Blitzmarathon zu beteiligen", sagte der Minister.

Beim dritten bundesweiten Blitzmarathon erwischte die Polizei im April allein in Niedersachsen rund 2,8 Prozent aller 184 000 kontrollierten Verkehrsteilnehmern, genau 5165 Raser. Allerdings liegt die Quote bei nicht angekündigten Kontrollen deutlich höher.

Minister Pistorius sagte: "Fakt ist: Der 24-Stunden-Blitzmarathon bindet Polizeikräfte - teils sogar zweimal jährlich. Die Frage ist also: Rechtfertigt das Ergebnis diesen Aufwand, oder müssen wir etwas anderes machen."

Vor der endgültigen Entscheidung will Pistorius zunächst noch eine wissenschaftliche Studie abwarten, die derzeit in Nordrhein-Westfalen erarbeitet wird. Bislang haben sich keine anderen Länder skeptisch zu einer Fortsetzung des Blitzmarathons geäußert. Befürworter wie der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD) versprechen sich von den massenhaften Kontrollen einen positiven Lerneffekt.