Kairo. . Der Vormarsch des Islamischen Staats scheint im Augenblick nicht zu stoppen. Schwäche und Unfähigkeit der arabischen Staaten spielen der Terrorarmee in die Hände. Eine Analyse.
Vor einem Jahr waren es Mosul und Tikrit, diesmal sind es Ramadi und Palmyra – demnächst könnten die schwarzen Gotteskrieger sogar vor den Toren von Damaskus und Bagdad stehen. Noch nie hat eine Terrorbewegung die arabische Welt so in ihren Fundamenten erschüttert, wie die Dschihadisten des so genannten „Islamischen Kalifats“.
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Sie sind in Taktik und Kampfdisziplin ihren staatlichen Kontrahenten überlegen. Und so verdanken die IS-Kommandos ihre Erfolge nicht so sehr der unbezwingbaren eigenen Stärke, sondern der Zerfahrenheit und Inkompetenz ihrer Gegner.
Islamischer Staat ist kein Produkt des syrischen Bürgerkriegs
Drei Ursachen liegen dieser Katastrophe zugrunde. Da ist zum einen das Erbe der amerikanischen Invasion. Die USA und Europa bekommen jetzt die Rechnung präsentiert für die wohl teuerste militärische Fehlentscheidung des Westens aller Zeiten. Denn der IS ist kein Produkt des syrischen Bürgerkrieges. Die Wurzeln des „Islamischen Kalifats“ liegen vielmehr in dem Post-Saddam-Irak, den Amerikaner, Engländer und andere willige Koalitionäre 2003 unter George W. Bush erzwungen haben.
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Zum zweiten ist die strukturelle Bigotterie der reichen Golfstaaten zu nennen. Die gekrönten Emire und Monarchen brüsten sich gerne als Bollwerk gegen den Extremismus, verbreiten jedoch mit ihrer puritanisch-islamistischen Weltmission militante Rechtgläubigkeit, Verteufelung Andersgläubiger und kulturelle Intoleranz.
Defizite in der politischen Kultur des Orients
Der dritte und wichtigste Katastrophengrund jedoch sind die tief eingeschliffenen Defizite in der politischen Kultur des Orients. Ihre Herrscher können Machtgebrauch einzig als Nullsummenspiel begreifen, sie sind unfähig zu Kompromissen, unbeirrbar in ihrem Autoritarismus und süchtig nach billigem Verschwörungsdenken. Entsprechend dicht bevölkert ist der mentale Kosmos der Arabischen Welt mit Dunkelmännern, ausländischen Agenten, unsichtbaren Strippenziehern, apokalyptischen Intrigen und zionistischen Machenschaften. Mit diesen Hirngespinsten im Kopf sehen die arabischen Machteliten keinen Grund, sich endlich mit eigenen Fehlern und Versagen zu konfrontieren.
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Dabei gäbe es Anlass genug. Denn seit dem Ende der Kolonialzeit eint alle Potentaten das gleiche Machtgebaren. Wer am Drücker ist, quetscht seine Kontrahenten so unerbittlich an die Wand, bin ihnen die Luft wegbleibt. Mahnungen zu Mäßigung, Deeskalation und politischer Integration werden als naive Moralpredigten belächelt, politische Ämter primär verstanden als Instrumente zur privaten Bereicherung. Die staatstragende Unterscheidung von privat und öffentlich gilt als Idealismus genauso wie ein Verantwortungsgefühl für das öffentliche Wohl.
Syrische Armee ist nach vier Jahren Bürgerkrieg demoralisiert
Im Irak haben Rambopolitik und interreligiöse Konflikte das Staatsgebäude zerfressen. In Syrien ist die Armee nach vier Jahren Bürgerkrieg so demoralisiert, dass die Tage des Assad-Regimes gezählt scheinen – zum Preis der totalen Selbstzerstörung der Nation. Der Westen schaut der orientalischen Tragödie zu. Letztlich muss die arabisch-islamische Welt mit IS und dessen religiöser Gewaltideologie alleine fertig werden – auch wenn es Jahre dauert. Das kann nur gelingen, wenn sich die politischen und religiösen Eliten der Region von ihrer blasierten Herrschermentalität verabschieden.