Berlin. Schüler lernen “zu viel unnützes Zeug“ - und “Benehmen“ sollte ein Unterrichtsfach werden: Dieser Meinung ist eine klare Mehrheit der Deutschen.

"Benehmen" als Schulfach, am besten gar verpflichtend? Das hört sich zunächst nach konservativem Tugendwahn an - aber drei von vier Bürgern in Deutschland (75 Prozent) sind nach einer neuen Umfrage dafür. 51 Prozent meinen, dass Benimm-Kurse an Schulen Pflicht sein müssten, für 24 Prozent immerhin Wahlfach. Ein obligatorisches Unterrichtsfach "Benehmen" läge den Befragten damit mehr am Herzen als "Wirtschaft" (48 Prozent), "Gesundheitskunde" (42), "Suchtprävention" (39) oder "Computerprogrammierung" (35).

Die Befragung des Institutes YouGov unter 1330 Bürgern zu bereits existierenden, aber eher seltenen und zu möglichen neuen Fächern spiegelt ein verbreitetes Unbehagen mit den Lerninhalten an deutschen Schulen wider. So neigen zwei von drei Befragten (68 Prozent) der Ansicht zu, dass Schüler "zu viel unnützes Zeug" lernen.

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Lehrer sollten auch Computer- und Wirtschaftskenntnisse (je 91 Prozent Zustimmung) und Gesundheit (89) als Pflicht- oder Wahlfächer unterrichten. Selbst Schönschrift fände noch jeder Zweite gut als Pflicht- (17 Prozent) oder Wahlfach (37). Nicht nur Lehrern stellt sich da die Frage: Was soll Schule denn noch alles leisten?

Philologenverband: "Schule ist weitgehend machtlos"

Der Vorsitzende der eher konservativen Lehrergewerkschaft Philologenverband, Heinz-Peter Meidinger, sagte der Deutschen Presse-Agentur, man könne "nicht jeden gesellschaftlichen Missstand durch ein neues Schulfach bekämpfen. Soviel Stunden hat der Tag nicht, die man dafür bräuchte." In punkto Benimm-Kurse mahnte er, Familie und Umfeld nicht aus der Verantwortung zu entlassen: "Wenn Eltern als Vorbilder ausfallen oder auch die Gesellschaft zunehmend vorlebt, wie man mit Ellbogen und ohne Rücksichtnahme seine Ziele erreicht, ist auch Schule weitgehend machtlos."

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So einiges vom Wunschzettel der Bürger - freilich nicht "Benehmen" - empfiehlt die Kultusministerkonferenz (KMK) der 16 Bundesländer ohnehin schon länger als "fächerübergreifende Inhalte" für den Unterricht. Das betreffe "vor allem Fragen der politischen und wirtschaftlichen Bildung im weitesten Sinne" und sei "in der Regel Gegenstand mehrerer Unterrichtsfächer" - um neue Pflichtfächer geht es also hier noch nicht. "Verbraucherbildung" etwa soll laut KMK stärker in den Lehrplänen der Schulen verankert werden. Länder wie Schleswig-Holstein oder Bayern sind da bereits vorangegangen.

Sehr plakativ - für manche auch platt - hatte vor wenigen Wochen die Kölner Schülerin Naina (17) ihren Ärger über heutige Lerninhalte per Twitter verbreitet und ein Riesen-Echo erzeugt. "Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern und Miete oder Versicherungen. Aber ich kann 'ne Gedichtsanalyse schreiben. In 4 Sprachen": Damit fand Naina - neben Spott und Kritik im Netz - auch Gehör bei der Politik.

Bildungsministerin will "stärker Alltagsfähigkeiten vermitteln"

"Ich bin dafür, in der Schule stärker Alltagsfähigkeiten zu vermitteln", stimmte Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) im Grundsatz zu, fügte jedoch hinzu: "Es bleibt aber wichtig, Gedichte zu lernen und zu interpretieren." Auch die nordrhein-westfälische Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) wies auf eine weiterhin erforderliche Verantwortlichkeit der Eltern für "Alltagsfähigkeiten" hin. Sie warnte vor einer Überdehnung der Lehrpläne: "Wie schaffen wir das, ohne dass wir ständig von oben draufsatteln?" Zumal auch viele Bürger - laut YouGov-Umfrage 52 Prozent - meinen, dass Schüler heutzutage ohnehin "kaum noch Zeit und Energie für Hobbys" haben.

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Die Wissenschaft nimmt sich des Themas ebenfalls an. So sollten nach Ansicht des hochkarätig besetzten Aktionsrats Bildung die Schulen in Deutschland mehr Wert auf Persönlichkeitsentwicklung legen. Lehr- und Lernprozesse dürften sich nicht nur auf Wissensvermittlung beschränken, heißt es in einem neuen Gutachten des Gremiums um die Bildungsforscher Dieter Lenzen und Wilfried Bos. Wichtig sei "mehrdimensionale Bildung", um Schüler "bei der Entwicklung einer verhaltenssicheren und lebensfähigen Persönlichkeit zu unterstützen".

"Bildung ist mehr als Fachwissen. Überfachliche Kompetenzen müssen stärker als heute in den Lehrplänen verankert werden", sagte der Präsident der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw), Alfred Gaffal, zu dem Gutachten. "Nicht nur Mathematik, Deutsch und Englisch sind relevant. Eine gesunde Charakterbildung ist genauso wichtig." Das war natürlich nicht gleich als Plädoyer für ein Pflichtfach "Benehmen" oder als Zustimmung zu Nainas Frust-Thesen zu verstehen. Aber gegen mehr schulische Unterweisung in den bürgerlichen Tugenden oder lebensnahem Wissen hätte die Wirtschaft wohl auch nichts. (dpa)