Bochum. . Gedichtanalysen statt Mietverträge. Die Aussage einer Schülerin auf Twitter löste Diskussionen aus. Oberstufenschüler sind geteilter Meinung.

Mit ihrer Aussage „Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete und Versicherungen. Aber ich kann ‘ne Gedichtsanalyse schreiben. In vier Sprachen“, echauffierte sich Schülerin Naina auf Twitter vor mehr als einer Woche öffentlich über den lebensfernen Unterricht in Deutschland. Doch teilt sie damit auch die Meinung anderer Schülerinnen und Schüler?

In vier Monaten stehen die Schüler der Jahrgangsstufe 12 des Schiller-Gymnasiums vor den Abiturprüfungen – und verfassen ebenfalls keine Steuererklärungen. Die Frage nach dem Sinn einiger Inhalte haben sie sich in ihrer Schullaufbahn teilweise auch gestellt und sind zudem manchmal mit den anstehenden Aufgaben und Entscheidungen überfordert. Trotz allem fühlen sie sich auf das Leben vorbereitet. „Ich finde, wenn man einen gewissen Intelligenzstatus hat, sollte man sich solche Dinge auch selbst beibringen können“, beurteilt Noemi Altendeitering (17) und Ella Foley (17) fügt hinzu: „Das sind so Dinge, die haben auch unsere Eltern nicht in der Schule gelernt, die hat jeder mal irgendwann hinbekommen.“ Als überflüssig bewerten die Schüler die Unterrichtsinhalte keinesfalls, sie seien ein Beitrag zur Allgemeinbildung.

Die Qualität der Fächer

Ganz ohne Kritik geht es dann aber doch nicht: Relevante Themen seien erst in der Oberstufe Teil des Lehrplans und auch die Fächerwahl sei ausschlaggebend. „Ich habe zum Beispiel SoWi-Leistungskurs und bekomme jetzt eher einen Einblick in die Rentenversicherung, als andere Schüler“, berichtet Leonie Bosl (18). Statt Themen wie Globalisierung in mehreren Fächern immer wieder zu behandeln, wünscht sich Yannik Wilhelm (18) eine konkretere Anwendung der Fremdsprache.

„Man merkt dann auch, dass sich die Qualität von Fach zu Fach ändert, wenn in einer anderen Sprache über das Thema diskutiert wird“, sagt Foley dazu. Grund dafür sei laut Lehrer Kai Tasche (40) das Spiralcurriculum. Allerdings ereignen sich Wiederholungen auch im Leben, „bis man sie begreift“; zudem sei es wichtig, über Globalisierung in mehreren Sprachen diskutieren zu können. Der 40-Jährige ist sich sicher, dass Naina es schaffen wird, Mietverträge zu verstehen, wenn sie die Kompetenz, eine Gedichtsanalyse zu schreiben, bereits erlangt hat. Das Leben erfordere mehrere solcher Kompetenzen. Die negativen Kommentare zu Nainas Erziehung stoßen bei ihm auf Unverständnis:„Hätten einige Kritiker Nainas ihre Intelligenz, würden sie solche Kommentare erst gar nicht schreiben.

Effektive Arbeitsgruppen

Vorstellbar sind für die Schüler Arbeitsgruppen, in denen praxisnahe Inhalte vermittelt werden. Das Schulsystem in Großbritannien könne dabei, so Bosl, als Vorbild dienen. So werden in einer Rechtskunde-AG am Schiller-Gymnasium beispielsweise Verträge besprochen. Tasche sieht in solchen AGs ebenfalls eine Möglichkeit. „Es gibt jedoch viele, die nachmittags gern zu Hause sein würden, um eine Sportart oder Vereinsarbeit auszuüben.“