Düsseldorf. In welchem Zustand marode Straßen und Brücken sind, ist seit langem bekannt. Doch die Politik reagierte nur zögernd. Der Investitionsstau ist enorm.

Schlechte Nachrichten für Autofahrer: NRW bleibt auch in den nächsten Jahren Schlaglochland. Der Städte- und Gemeindebund schätzt, dass der Sanierungsstau bei kommunalen Straßen „in die Milliarden geht“. Nordrhein-Westfalens Verkehrsminister Michael Groschek (SPD) ließ im Verkehrsausschuss des Landtages mitteilen, dass der Verschleiß der Landesstraßen trotz höherer Zuschüsse bis heute nicht gestoppt ist. Die NRW-Industrie- und Handelskammern klagten, dass mehr als 40 Prozent der Landesstraßen in schlechtem oder sehr schlechtem Zustand sind.

Hauptgeschäftsführer Bernd Jürgen Schneider vom NRW-Städte- und Gemeindebund beziffert allein den Sanierungsbedarf für die Brücken auf kommunalen Straßen in NRW auf mehr als 500 Millionen Euro. Durch die explodierenden Sozialausgaben seien arme Städte nicht mehr in der Lage, kaputte Straßen zu sanieren.

"Wir flicken, statt zu sanieren. Das ist aber auf Dauer viermal teurer"

„Wir flicken, statt zu sanieren. Das ist aber auf Dauer viermal teurer“, sagte Schneider unserer Redaktion. Weil schlechte Straßen und Brücken zur Wachstumsbremse würden, gerieten Städte in einen Teufelskreis. Aufgrund der Halbierung der Investitionsmittel hätten gerade hoch verschuldete Städte „in den letzten 20 Jahren fast nichts mehr bei der Straßensanierung gemacht“.

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Von Wilfried Goebels

Zwar hat die Landesregierung die Sanierungsmittel für die 13.000 Kilometer Landesstraßen in diesem Jahr um zehn Millionen auf 100 Millionen Euro aufgestockt. In ihrem Positionspapier „NRW muss mobil bleiben“ verlangen die IHKs aber eine Verdopplung des jährlichen Investitionsvolumens in NRW.

Kommunale Straßen in noch schlechterem Zustand

Michael Schreckenberg, Professor an der Uni Duisburg-Essen, hält den Zustand der kommunalen Straßen noch für deutlich schlechter als den der Landesstraßen. Allein den jährlichen Sanierungsbedarf der Bundes- und Landesstraßen – vor allem der Brücken – bezifferte der Verkehrsexperte auf mehr als eine Milliarde Euro in NRW. Viele nötige Sanierungsmaßnahmen seien seit Jahren verschleppt worden.

In NRW gibt es nach Angaben des Landesbetriebs Straßen ein Straßennetz von rund 20.000 Kilometern. Davon sind 12.900 Kilometer Landesstraßen.

Allein zwei Drittel aller Brücken müssen saniert werden 

Der katastrophale Zustand der Straßen und Brücken in NRW ist seit Jahren bekannt. Bei der Sanierung steht das Land jetzt vor großen Herausforderungen: Verkehrsminister Michael Groschek (SPD) will bis 2020 alle vor 1985 errichteten Brücken überprüfen lassen: Das sind allein zwei Drittel der mehr als 10.000 Brücken im Bereich des Landesbetriebs Straßen-NRW. Wie lange das dauern wird und wie teuer die Sanierung werden soll, konnte Groschek in der Antwort auf eine FDP-Anfrage allerdings nicht sagen.

Bisher wurden in NRW die ersten 105 der 375 Brücken auf Bundesfernstraßen geprüft. Das Ergebnis war ernüchternd: 50 müssen kurzfristig verstärkt, auf Dauer sogar 84 neu gebaut werden. Von 770 Landesstraßenbrücken wurden bislang 31 geprüft: Zwei müssen schnell verstärkt werden, am Ende müssen sechs neu gebaut werden. Dabei ist vor allem die steigende Belastung der Straßen und Brücken durch schwere Lastwagen ein Problem. So verursacht ein 40-Tonner so große Schäden wie 1000 Autos.

Der Streit ums Geld

Schon 2013 hatte das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) in einer Studie Alarm geschlagen: Danach müssten mindestens die Hälfte der bundesweit 67.000 kommunalen Brücken bis 2030 entweder saniert oder komplett neu gebaut werden. Die nötigen Investitionsmittel bezifferte das Institut auf rund 16 Milliarden Euro bis 2030.

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Auch eine Kommission unter Führung des früheren Verkehrsministers in Sachsen-Anhalt, Karl-Heinz-Daehre, hatte bereits 2012 festgestellt, dass jedes Jahr bundesweit 7,2 Milliarden Euro fehlten, um die Infrastruktur der Verkehrsträger in Bund, Ländern und Gemeinden zu erhalten. Der Bund stellt nach Angaben Groscheks 2015 rund 411 Millionen Euro für den Erhalt der Bundesstraßen und Autobahnen in NRW zur Verfügung.

50 Milliarden Euro Einnahmen aus Abgaben und Steuern

Im Koalitionsvertrag hatten sich CDU und SPD im Bund darauf verständigt, dass 80 Prozent der Bundesmittel für den Erhalt und nur noch 20 Prozent in den Neubau investiert werden. Die Industrie- und Handelskammern in NRW kritisieren aber, dass der Bund 50 Milliarden Euro jährlich aus Abgaben und Steuern aus dem Verkehrsbereich kassiert, aber weniger als elf Milliarden Euro in Straßen, Schienenwege und Wasserstraßen investiert. Die Unternehmen könnten aber nicht dauerhaft mit maroden und teilweise für den Schwerlastverkehr gesperrte Brücken wie auf der A1, A40 und A45 leben.

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Minister Groschek weiß, dass für die Mobilität von Menschen und Gütern ein stabiles Rückgrat der Infrastruktur nötig ist. „Immer öfter finden wir aber ein klappriges Skelett vor mit maroden Brücken, defekten Weichen und bröckelnden Schleusenanlagen“, räumte er ein. „Dagegen hilft kein Spielgeld. Um die Verkehrsinfrastruktur zukunftssicher zu machen, brauchen wir eine nachhaltige Investitionsoffensive über mehrere Jahre.“

Der FDP-Abgeordnete Kai Abruszat verlangte deshalb aber auch mehr Anstrengungen des Landes: „Wenn wir den Substanzverlust auf den Landesstraßen beenden wollen, muss das Land eine Schippe drauflegen.“ Aus Sicht des CDU-Verkehrsexperten Andre Kuper reichen die Landesmittel nicht einmal, um den Straßenzustand „auf dem heutigen schlechten Niveau zu halten.