Düsseldorf. Rot-Grün setzt Akzente beim Lehramt: Islamische Religionslehre, weniger Latein, mehr Sonderpädagogik. Kritiker warnen vor Überfrachtung des Studiums.
Weniger Latein, dafür mehr Sonderpädagogik, digitale Medien und die „Islamische Religionslehre“ erstmals als Regelfach: Die rot-grüne Landesregierung hat eine umfassende Reform der Lehrerausbildung in NRW auf den Weg gebracht. Das Kabinett von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) beschloss am Dienstag eine Änderung der Gesetzeslage von 2009, der nun noch der Landtag zustimmen muss.
„Wir richten die Lehrerausbildung behutsam und konsequent auf die Zukunft aus“, erklärte Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne). Als wichtigste Aufgaben nannte sie die Inklusion (Integration von behinderten Kindern in Regelschulen) und „den Umgang mit Vielfalt im Klassenzimmer“ sowie das Lehren und Lernen mit digitalen Medien.
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Das Land schreibt künftig für alle angehenden Lehrer sonderpädagogische Basiskompetenzen verbindlich vor. Selbst wer Mathematik-Studienrat an einem Gymnasium werden möchte, soll sich in seiner Ausbildung mit Fragen der Wissensvermittlung an Schüler mit Handicap befassen. „Die zusätzlichen bildungswissenschaftlichen Anforderungen dürfen nicht dazu führen, dass in der fachlichen Ausbildung der Lehrer weiter Abstriche gemacht werden“, warnte der Vorsitzende des Philologenverbandes NRW, Peter Silbernagel. Auch CDU-Fraktionsvize Klaus Kaiser sieht die Gefahr einer Überfrachtung: „Wir brauchen die richtigen und geeigneten Persönlichkeiten für das Lehramt. Dies gilt umso mehr, als sich heute die Hälfte der Lehrer im Beruf überfordert fühlt.“
Latein verliert seine Bedeutung im Studium
Umstritten ist auch die geplante Verbannung der lateinischen Sprache aus der Lehrerausbildung. Fremdsprachen-Lehrer müssen mit Inkrafttreten des Gesetzes kein Latinum mehr nachweisen. In den Fächern Geschichte und Philosophie wird fortan nur noch das Kleine Latinum, also ein Basiswissen, verlangt. NRW passe seine Anforderungen lediglich denen anderer Bundesländern an, verteidigte das Schulministerium den Schritt. Bislang kamen Studenten an NRW-Unis in den Lehramtsfächern Englisch, Französisch, Italienisch oder Spanisch nicht am Latinum vorbei.
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Kritiker befürchten eine Verflachung des Niveaus, da Latein als Bildungsgrundlage und Mutter aller Sprachen gilt. Auch der Philologenverband kritisierte die Entscheidung: „Wir bleiben der Meinung, das es sinnvoll ist, das Latinum zum Studium moderner Sprachen zu verlangen“, sagte Silbernagel. Bei den Eltern von Schulkindern stand Latein bislang recht hoch im Kurs: Rund 25 Prozent aller NRW-Schüler lernen aktuell die „tote Sprache“, 60 Schulen bieten sie sogar als erste Fremdsprache ab Klasse 5 an. Auch von der Opposition kommt Gegenwind: „Die strukturellen und grammatikalischen Grundkenntnisse, die durch das Erlernen der lateinischen Sprache erworben werden, bleiben gültig. Wir haben Sorge, dass die hohe Fachlichkeit, die für Lehrer an Gymnasien und Gesamtschulen gefordert wird, schleichend abgebaut wird“, warnte CDU-Frakionsvize Kaiser.
Islamische Religionslehre wird reguläres Fach in der Lehrerausbildung
Neu eingeführt wird als reguläres Fach der Lehrerausbildung in NRW die „Islamische Religionslehre“. Rot-Grün führte bereits 2012 als bundesweiter Vorreiter islamischen Religionsunterricht an Grundschulen ein und weitete das Angebot ein Jahr später auf weiterführende Schulen aus. Man behalf sich beim Lehrpersonal mit Quereinsteigern und inhaltlich mit Islamkunde-Lehrplänen. Zurzeit erhalten nur rund 6500 der insgesamt 275.000 muslimischen Kinder an NRW-Schulen islamischen Religionsunterricht. Die Uni Münster bietet erst seit dem Wintersemester 2012/2013 Studiengänge für das Unterrichtsfach Islamische Religionslehre für die Lehrämter aller Schulformen an.
Die rot-grüne Reform sieht zudem vor, dass Lehramtsanwärter besser auf den Einsatz von digitalen Medien im Unterricht vorbereitet werden. Die Landesregierung will zwischen 2016 und 2019 4,4 Millionen Euro investieren, um die Ausbildungsorte für Referendare zeitgemäßer auszustatten. Um den Lehrermangel im gewerblich-technischen an Berufskollegs in den Griff zu bekommen, sollen überdies Absolventen von Fachhochschulen leichter als Quereinsteiger gewonnen werden können.
Praktika in Schulen und in anderen Berufen
Mit der Reform der Lehrerausbildung in NRW werden auch die Praxisanteile im Studium neu geordnet. Das bisherige „Eignungspraktikum“ und das „Orientierungspraktikum“ werden zu einem fünfwöchigen Schulbesuch für Bachelor-Studenten zusammengefasst.
Zudem müssen angehende Lehrer ein vierwöchiges Praktikum in einem anderen Berufsfeld nachweisen.