Essen. NRW gibt von Bafög-Entlastungen von knapp 280 Millionen Euro den Hochschulen nichts zurück. Das sei gegen die Vereinbarung, klagt die Bundesregierung.

Zwischen der Bundesregierung und den Ländern gibt es Streit um die Verwendung der Bafög-Mittel. Besonders NRW erregt den Unmut von Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU). Das Land halte sich nicht an die 2014 geschlossene Vereinbarung, die Gelder „insbesondere in den Hochschulbereich“ zu investieren.

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Von Christopher Onkelbach

Mit der Übernahme der gesamten Kosten für das Bafög ab 2015 hatte der Bund die Länder jährlich um 1,2 Milliarden Euro entlastet. Allein NRW spart dadurch jedes Jahr knapp 280 Millionen Euro.

Geld für neue Stellen

Wanka hatte dabei im Sinn, dass die Länder mit dem Geld zum Beispiel neue Stellen an den Hochschulen finanzieren. Die Mittel reichten bundesweit für über 10. 000 neue Professorenstellen. Zu Wankas Verdruss aber investiert NRW von dem Geld keinen Euro in die Hochschulen.

Dafür gibt das Land unter anderem rund elf Millionen Euro für den Ausbau der offenen Ganztagsschulen im Primarbereich sowie 35 Millionen Euro für die schulische Inklusion. Der größte Batzen, rund 100 Millionen Euro, geht in die frühkindliche Bildung.

Auch die Unis sind verschnupft. Sie kämpfen seit langem mit einer knappen Grundfinanzierung. Während die Zahl der Studierenden stieg, blieb die der Professoren beinahe gleich.

Da „wären die jährlichen Zuweisungen aus den ehemaligen Bafög-Mitteln eine echte Hilfe gewesen, um die immer schlechter werdende Betreuungsrelation zu verbessern“, sagt Ulrich Radtke, Rektor der Uni Duisburg-Essen, unserer Redaktion. Und er fügt hinzu: „Deshalb waren wir sehr überrascht, als die Ministerin bekannt gab, wozu die Mittel in NRW eingesetzt werden.“

NRW: Auch Kosten für Kitas sind Bildungsausgaben

Wiederholt appellierte Bundesministerin Wanka an die Länder, die Millionen im Sinne der Vereinbarung einzusetzen. Durchsetzen kann sie dies allerdings wegen des Haushaltsrechts der Länder nicht. „Wir registrieren sehr genau, was in den Ländern passiert“, betonte sie. „Wir können nichts erzwingen. Aber dass man so etwas nicht vergisst, ist klar“, so Wanka.

NRW stellt sich auf den Standpunkt: Auch Kitas gehören zum Bildungsbereich. Zudem stelle das Land für den Ausbau der Hochschulen (Hochschulpakt) bis 2020 rund 2,3 Milliarden Euro zur Verfügung. Wanka aber lässt das nicht gelten: Für den Hochschulpakt und den Kita-Ausbau gebe es bereits Fördertöpfe des Bundes.

Was NRW mit 280 Millionen pro Jahr machen könnte 

Für die Hochschulen in NRW wären die 280 Millionen pro Jahr immerhin ein Anfang gewesen. Hunderte neue Professoren, Dauerstellen für wissenschaftliche Mitarbeiter und bessere Ausstattungen hätten über die frei werdenden Bafög-Mittel finanziert werden können. Doch die Unis gehen leer aus. Dabei muss sich ein Professor um immer mehr Studenten kümmern.

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Beträgt das Verhältnis im Bundesschnitt etwa eins zu 63, kommen in NRW auf einen Professor über 80 Studierende. Und während – zum Beispiel – Niedersachsen 12.000 Euro pro Student investiert, sind es in NRW 7550 Euro. Doch die Gelder, die NRW jedes Jahr zusätzlich zur Verfügung hat, weil der Bund ab 2015 die Bafög-Kosten übernimmt, pumpt das Land in Schulen und Kitas.

Auch hier sind die Mittel sicherlich nötig und wichtig. Allein für neue Lehrerstellen im Zuge der schulischen Inklusion wird NRW in der laufenden Legislaturperiode 100 Millionen Euro einsetzen. Eine Summe in ähnlicher Höhe geht in die frühkindliche Bildung. Doch abgemacht war das so nicht.

Hochschulen seit langem mit schlechten Perspektiven

In der Begründung zur Bafög-Novelle heißt es: „Um den Ländern zusätzlichen Spielraum für die Bildungsfinanzierung, insbesondere für Hochschulen, zu eröffnen, übernimmt der Bund die Finanzierung der Geldleistungen nach dem Bafög ab dem Jahr 2015 allein.“ Von Kitas steht dort nichts.

Dabei stöhnen die Hochschulen seit langem über eine zu geringe Grundfinanzierung und schlechte Perspektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs. Es sei daher „das Gebot der Stunde, die Perspektiven für jungen Wissenschaftler ganz konkret und schnell zu verbessern“, mahnt Bernhard Kempen, Präsident des Deutschen Hochschulverbands, der Interessenvertretung der Universitäts-Professoren. Hier seien vor allem die Länder gefordert, sie müssten mit den frei gewordenen Bafög-Millionen die Grundfinanzierung der Hochschulen aufstocken.

Auch andere Länder geben Bafög-Mittel nicht an Unis weiter

Hochmotiviert und qualifiziert, doch schlecht bezahlt und auf unsicherem Posten – so stellt sich die Lage der zukünftigen akademischen Elite dar. „Standardmäßig befristete Verträge“ machen die Lage des wissenschaftlichen Nachwuchses prekär, ergab eine Studie von Arbeitswissenschaftlern an der Ruhr-Uni Bochum.

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Bernhard Kempen findet deutliche Worte zu der Verwendung der Bafög-Millionen: „Es war eine politische Schweinerei ersten Ranges, dass die Länder im letzten Jahr klipp und klar erklärten, dass sie die frei gewordenen Bafög-Aufwendungen an die Hochschulen reichen werden, um sich schon wenige Tage später nicht an diese Erklärung gebunden zu fühlen.“

Es gibt indes Bundesländer, in denen die Bafög-Gelder zu 100 Prozent in die Hochschulen fließen. Bundesbildungsministerin Johanna Wanka hebt Hessen, Bayern und Sachsen als lobende Beispiele hervor. Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Berlin haben zwischen 40 und 60 Prozent der Bafög-Mittel für die Hochschulen eingeplant.

Kitaplätze genauso wichtig wie genügend Studienplätze

Doch zu Wankas Ärger zweigen einige Länder überhaupt kein Geld für die Hochschulen ab, dazu gehören neben Nordrhein-Westfalen auch Niedersachsen, Hamburg und Schleswig-Holstein.

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„Ich kann nicht akzeptieren, dass man dieses Geld nimmt, nicht für die geplanten Zwecke verwendet, aber zugleich für genau diese Zwecke neues Geld reklamiert“, schimpft Wanka. „Das funktioniert nicht.“ Sie ist sich dessen bewusst, dass die Länder frei über das Geld entscheiden können, aber vergessen werde sie das nicht, drohte sie.

Kitaplätze, mehr Lehrer und kleinere Schulklassen seien genauso wichtig wie genügend Studienplätze und unbefristete Stellen für die Wissenschaft, kontern die gescholtenen Landesregierungen.

„Unsere Investitionen im Bereich Bildung übersteigen die Bafög-Entlastungen bei weitem“, verlautet aus dem NRW-Wissenschaftsministerium. Zudem habe das Land seit 2010 das Budget für Wissenschaft und Forschung um mehr als 30 Prozent erhöht – „so viel wie nirgendwo sonst in Deutschland“.