Berlin. Die Bundesregierung sieht in der Spionageaffäre trotz entsprechender Forderungen aus der Opposition derzeit keinen Anlass für personelle Konsequenzen.

Schon am 7. Mai will der NSA-Untersuchungsausschuss zwei Schlüsselzeugen in der BND-Affäre befragen, einen Referatsleiter und einen Unterabteilungsleiter. Sie sollen erklären, warum der deutsche Geheimdienst erst am 12. März 2015 das Kanzleramt darüber informierte, dass die Amerikaner mit deutscher Hilfe sowohl Unternehmen als auch französische Behörden abhörten.

Die Begehrlichkeiten waren intern zwar seit 2008 bekannt; erneut wurde das Kanzleramt 2010 informiert. Der BND hatte aber stets beteuert, die Praxis sei unterbunden worden. Damit gab sich die Regierung zufrieden.

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Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ließ am Montag erklären, „im Moment“ gebe es keinen Grund für personelle Konsequenzen. Auch gebe es „keine freien Radikalen“. Sie begegnete damit dem SPD-Vorwurf, der BND führe ein Eigenleben. Neben Linken und Grünen hatte auch SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi personelle Konsequenzen nicht ausgeschlossen.

Ausmaß der US-Anfragen größer als angenommen

Am 12. März machte BND-Präsident Gerhard Schindler Kanzleramtschef Peter Altmaier zwei Geständnisse. Zum einen war das Ausmaß der US-Anfragen größer als angenommen. Es war so groß, dass der BND sogar eine „No-Go-Liste“ mit rund 40. 000 Suchkriterien erstellte, um den Geheimdienst NSA abzuwimmeln. Zum anderen ließ der BND den Amerikanern weitere 2000 Anfragen durchgehen, die hätten abgelehnt werden müssen.

Erst am letzten Mittwochabend weihte Altmaier den Bundestag ein – vom 12. März bis zum 22. April hatte er sich bemüht, den Fall aufzuklären. Vergeblich. Der Unterabteilungsleiter, der die Praxis kannte und auf Fachebene auf die US-Kollegen einwirkte, aber seinen Präsidenten nicht einweihte, war krankgeschrieben, ebenso wie sein Referatsleiter.

Im Kern geht es politisch um zwei Punkte: Hatte Schindler seinen Dienst nicht im Griff? Und hat die Rechts- und Dienstaufsicht versagt? Nicht dem Kanzleramt, sondern vielmehr der Hartnäckigkeit der Abgeordneten im NSA-Untersuchungsausschuss sind die Erkenntnisse zu verdanken. Der CDU-Obmann Tankred Schipanski sprach gegenüber unserer Redaktion von „schwerwiegenden Anwürfen“.

BND hatte 2010 auf NSA-Praxis hingewiesen

Der BND soll dem US-Geheimdienst National Security Agency (NSA) über Jahre geholfen haben, europäische Unternehmen und Politiker auszuforschen. Die Vorwürfe waren am Donnerstag bekanntgeworden. Zunächst hieß es, das Kanzleramt sei erst im März informiert worden. Am Sonntag hatte die Bundesregierung dann bestätigt, dass der BND das Kanzleramt schon 2008 über Spähversuche der Amerikaner gegen europäische Ziele informiert hatte.

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Laut "Bild am Sonntag" liegt dem NSA-Untersuchungsausschuss zudem ein Dokument von 2010 vor, das zur Vorbereitung eines Treffens des Kanzleramtschefs mit US-Vertretern diente. Auch darin habe der BND auf die rechtswidrige NSA-Praxis hingewiesen. Das Kanzleramt hat die Aufsicht über den BND. 2008 war der heutige Innenminister Thomas de Maizière Kanzleramtschef, 2010 war es Ronald Pofalla (beide CDU).

Die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Wirtz betonte am Montag in Berlin, durch die Dokumente von 2008 und 2010 allein seien zunächst keine Defizite erkennbar gewesen. Die Unterlagen seien im Herbst 2014 an den NSA-Untersuchungsausschuss gegangen. Erst als dieser weitere Unterlagen angefordert habe, seien neue Erkenntnisse ans Licht gekommen - und damit auch Defizite beim BND.

NSA-Ausschuss will de Maizière zunächst nicht vorladen

Der Chef des NSA-Untersuchungsausschusses, Patrick Sensburg (CDU), ist dagegen, de Maizière sofort in den Bundestagsausschuss zu laden. "Das wäre zu früh", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Das Gremium wolle zunächst Anfang Mai mehrere BND-Mitarbeiter befragen. Es sei auch wichtig, erst die Listen über mögliche Spähziele der USA einzusehen. Die Linke hatte gefordert, de Maizière schnell zu laden. Sensburg wies zudem den Fahimi-Vorstoß zurück, wegen der neuen Erkenntnisse den Untersuchungsauftrag des Ausschusses zu erweitern.

Der Vorsitzende der Parlamentsgremiums zur Kontrolle der Geheimdienste, André Hahn (Linke), kritisierte, wenn es schon 2008 einen oder gar mehrere Berichte des BND über versuchte oder erfolgte Wirtschaftsspionage seitens der NSA an die Aufsichtsbehörde gegeben hat, "hätte das Bundeskanzleramt das Parlamentarische Kontrollgremium erneut belogen". Der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele, der Mitglied im Kontrollgremium ist, forderte im ZDF personelle Konsequenzen sowohl im BND als auch im Kanzleramt. (mit dpa)