Berlin. . Den Innenminister holt jetzt der Spionageskandal um den BND ein.Auch in G-36-Affäre und Flüchtlingsdebatte sieht der CDU-Mann nicht gut aus

Eine Wende in der Spionageaffäre um den Bundesnachrichtendienst bringt das Kanzleramt unter Druck – und den affärengeplagten Innenminister Thomas de Maizière (CDU) in neue Bedrängnis: Das Kanzleramt bestätigte, dass es über die Wirtschaftsspionage-Praxis des US-Geheimdienstes NSA bereits 2008 in Kenntnis gesetzt wurde. Damals war de Maizière Amtschef der Regierungszentrale und für den BND zuständig.

Demnach hatte der BND 2008 in einem vertraulichen Bericht darüber informiert, dass die NSA versucht hatte, europäische Rüstungskonzerne wie EADS und Eurocopter mit Hilfe des BND abzuschöpfen. Die Kooperationspraxis, bei der die NSA dem deutschen Geheimdienst viele tausend Suchanfragen für das Abhören von Telefon- und Internetverkehr übermittelte, die nicht nur die Terrorabwehr betrafen, wurde danach aber offenbar nicht geändert; auch de Maizières Nachfolger als Kanzleramts-Chef, Ronald Pofalla, wurde zwei Jahre später offenbar über die Rechtsverstöße informiert, wie „Bild am Sonntag“ berichtete.

De Maizière und Pofalla wussten offenbar schon lange von Praxis der NSA

Das Eingeständnis der Regierung ist brisant, weil die heutige Leitung des Kanzleramts noch am Donnerstag den Eindruck vermittelt hatte, von den umfangreichen Spionageversuchen der NSA erst vor wenigen Wochen erfahren zu haben – angeblich war bis dahin auch der seit 2012 amtierende BND-Chef Gerhard Schindler ahnungslos. Das Kanzleramt hatte in ungewöhnlich harscher Form öffentlich „technische und organisatorische Defizite“ des BND gerügt; ein Affront gegenüber Schindler, über dessen Rücktritt nun spekuliert wird. Dass aber mindestens de Maizière und Pofalla von den Vorgängen sehr viel früher wussten, überrascht und alarmiert auch den NSA-Untersuchungsausschuss.

SPD-Obmann Christian Flisek sagte dieser Zeitung: „Wenn das Kanzleramt seit 2008 informiert war, macht das die Vorgänge noch schlimmer. Dann stellt sich die Frage, warum nichts unternommen wurde – obwohl auf Verlangen der NSA über Jahre gegen deutsche Interessen verstoßen wurde.“ Flisek kündigte an, die SPD werde den Druck erhöhen: Kanzlerin Angela Merkel sei „in der Pflicht“, gegenüber den USA nach diesem Vertrauensbruch deutliche Worte zu finden. Es sei aber fraglich, ob die Brisanz im Kanzleramt erkannt worden sei. „Offenbar funktioniert weder die Aufsicht innerhalb des BND noch die Aufsicht des Kanzleramtes; wir müssen jetzt die gesamte Kontrolle auf den Prüfstand stellen“, sagte Flisek.

Die Obfrau der Linken, Martina Renner, äußerte den Verdacht, die Regierung habe den Bundestag bei diesem Thema belogen. Merkel und de Maizière sind ohnehin als Zeugen im NSA-Untersuchungsausschuss vorgesehen; de Maizières Vernehmung wird nun möglicherweise vorgezogen.

Vorwurf der Zögerlichkeit

Für den CDU-Politiker kommen die Vorwürfe zum ungünstigen Zeitpunkt, denn er steht ohnehin massiv in der Kritik: In der Flüchtlingspolitik wirft ihm die Opposition eine Mitschuld an den Tragödien im Mittelmeer vor – eilig gab de Maizière seinen Widerstand gegen Seenot-Rettungsprogramme auf. Und der Verdacht, das Kanzleramt habe unter seiner Leitung die NSA-Spionage unterschätzt behandelt, wiegt doppelt schwer.

Denn de Maizière muss sich gegen ähnliche Vorwürfe der Zögerlichkeit schon in der Affäre um das Bundeswehr-Standardgewehr G 36 wehren. Erste Hinweise auf mögliche Mängel hatte das Verteidigungsministerium 2012 erreicht, als de Maizière das Ressort leitete. Doch er versicherte, alles sei in Ordnung. Nachfolgerin Ursula von der Leyen (CDU) erklärt jetzt das Gegenteil, die Opposition bereitet einen Untersuchungsausschuss vor. Den letzten Affären-Ausschuss, der die Pannen mit der Drohne Euro-Hawk untersuchte, hat de Maizière 2013 nur knapp überstanden. Nun wird es für ihn an mehreren Fronten brenzlig.