Berlin. . Nicht immer ist die Not der Flüchtlinge hausgemacht. Entwicklungsexperte Stefan Rostock hat Vorschläge, wie der Westen wirklich helfen könnte.

Die Flüchtlingswelle aus Afrika hat vielfältige Ursachen. Die Menschen fliehen vor Krieg, Verfolgung, Hunger und Naturkatastrophen. Viele Probleme sind zudem hausgemacht, etwa staatliches Missmanagement und wuchernde Korruption. Doch auch die Europäer tragen zu den teils unerträglichen Zuständen in einigen afrikanischen Ländern bei. Der Klima- und Entwicklungsexperte der Bürgerrechtsorganisation Germanwatch, Stefan Rostock, sagt im Gespräch mit Wolfgang Mulke, dass die Europäer die Not noch verschärfen.

Trägt das Konsumverhalten der Europäer dazu bei, dass Menschen in Afrika so in Not geraten, dass sie ihre Heimat verlassen?

Stefan Rostock: Ja, die Europäer tragen erheblich zu der Not bei. Unser fossiler Energiekonsum, also der hohe Verbrauch von Kohle und Öl, treibt den Klimawandel an. Von den Folgen ist Afrika besonders betroffen, zum Beispiel durch Dürre. Dies wiederum befördert die Destabilisierung von Staaten in der Region. Auch die von Europa, besonders auch von Deutschland betriebene Politik der Rohstoffsicherung ist fragwürdig.

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Bei der Förderung werden häufig Menschenrechte missachtet. Die Bundesregierung müsste hier anders vorgehen, um bedenkliche Entwicklungen in den Rohstoffregionen zu stoppen. Mit Billigprodukten nehmen wir zunehmend Menschenrechtsverletzungen als eine Fluchtursache in Kauf.

Was tragen der Landkauf und die Agrar-Exporte zur Not in afrikanischen Ländern bei?

Rostock: Gerade die landwirtschaftlichen Exporte aus Europa erschweren südlich der Sahara eine eigene landwirtschaftliche Entwicklung. Das ist keine Frage der Exportförderung mehr wie früher. Vielmehr produziert die hiesige Agrarwirtschaft Erzeugnisse so billig, dass die afrikanischen Produzenten nicht mehr mithalten können. Das gilt insbesondere für Hühner, Tomaten und Milchpulver. Möglich werden diese Dumpingpreise durch sehr geringe Transportkosten.

Es braucht faire Handelsbedingungen. So dürfen viele Länder ihre Märkte nicht ausreichend durch Zölle schützen, weil Handelsabkommen dies verbieten. Der Landkauf wiederum führt vielerorts zur Vertreibung, weil die traditionelle Bewirtschaftung des Bodens aufgelöst wird und die Bauern keine verbrieften Rechte auf ihren traditionellen Grund vorweisen können. Nur wenige werden dann bestenfalls als Arbeiter eingestellt.

Wie steht es um die Fisch-Industrie?

Rostock: Die europäische Fischindustrie plündert traditionelle Fischbestände. Damit verschwinden auch die traditionellen wirtschaftlichen und kulturellen Strukturen vielerorts. Hier tragen die Europäer eindeutig eine große Mitverantwortung. Die Fischereiflotten stehen bereits von vielen Seiten unter Beschuss. Denn weltweit soll der Schutz der Meere ausgebaut werden. Ohne eine nachhaltige Fischerei kann dies nicht gelingen.

Es wird oft verlangt, die Situation in der Heimat der Flüchtlinge zu verbessern. Was müsste die europäische Wirtschaft dazu denn beitragen?

Rostock: Den größten Beitrag kann die erfolgreiche Energiewende leisten. Deutschland war führend beim Ausbau der Photovoltaik. Das hat bereits sinkende Preisen für diese Anlagen nach sich gezogen. Die preisgünstigeren Solaranlagen können nun auch in ärmeren Ländern eingesetzt werden. In manchen Gegenden hat dies bereits Entwicklungsimpulse ausgelöst. Deshalb muss die Energiewende in Deutschland und Europa weiter vorangetrieben werden.

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Hier werden technologischen Innovationen entwickelt, die den afrikanischen Ländern entgegenkommen. Die versprochene Reduktion der Treibhausgasemissionen in Deutschland fördert Vertrauen und Erfolg in den UN-Klimaverhandlungen und trägt so bei zur Abmilderung des globalen Klimawandels. Klimawandel ist zunehmend mitbeteiligte Fluchtursache.

Die aktuell meisten Flüchtlinge kommen aus Bürgerkriegsländern. Können die Europäer hier überhaupt zu einer Verbesserung der Situation beitragen?

Rostock: Die Unterstützung von fragilen Staaten entscheidet sich im Einzelfall. Es hilft, zivilgesellschaftliche Strukturen zu unterstützen. Aber die Situation ist in den verschiedenen Bürgerkriegsregionen ganz unterschiedlich. Ein allgemeingültiges Rezept zur Befriedung gibt es daher nicht. Konflikte und Fluchtbewegungen gehen zurück, wenn Menschen für sich eine Zukunft sehen. Hier liegen die Chancen des Aufbaus einer fossil-freien Wirtschaft in den Ländern des Südens.