Essen. Vorratsdatenspeicherung, Betreuungsgeld, Maut: In der Großen Koalition muss die SPD ungeliebte Projekte mittragen. Doch das Blatt könnte sich wenden.
Die Sozialdemokraten müssen gerade einige Kröten schlucken in der Großen Koalition, weil die Umsetzung einiger Gesetze ansteht, die in den eigenen Reihen nicht gerade beliebt sind. Doch nicht wenige Genossen hoffen auf Hilfe von höherer Stelle, um das Schlimmste zu verhindern.
Die ersten 15 schwarz-roten Monate in Berlin liefen für die SPD ganz gut: Mit Mindestlohn, Mütterrente und Frauenquote setzte der kleinere Koalitionspartner eigene Akzente. Bei CDU und CSU gab es zwar Murren und an der einen oder anderen Stelle mussten Arbeitsministerin Andrea Nahles und und ihre für die Familie zuständige Kabinettskollegin Manuela Schwesig einlenken - aber insgesamt kann sich die Bilanz sehen lassen, auch wenn sich das bisher nicht in den Meinungsumfragen widerspiegelt.
Union dreht den Spieß um
Doch nun dreht die Union den Spieß um. Es ist jetzt an der SPD, bei den Genossen verhasste Lieblings-Projekte der Union abzusegnen - mit höchst seltsamen Folgen.
Auch interessant
Beispiel Vorratsdatenspeicherung. Justizminister Heiko Maas (SPD) hatte noch im Dezember vorigen Jahres in einem Interview erklärt, er lehne die anlasslose Speicherung von Telekommunikationsdaten "ganz entschieden ab". Begründung: Diese Praxis verstoße "gegen das Recht auf Privatheit und gegen den Datenschutz".
Doch vor allem nach den Terroranschlägen von Paris wuchs der Druck auf Maas. Die Stimmen jener, die auf mehr Dateneinsicht für Anti-Terror-Fahnder drängten, wurden lauter, auch in der Union. Die Folge: Gerade eben legte der ehemalige Vorratsdaten-Gegner Maas in Abstimmung mit Innenminister Thomas de Maizière von der CDU den Plan für ein neues Gesetz vor, das die Speicherung von Telekommunikationsdaten zu Ermittlungszwecken vorsieht.
Zwar sind die Speicherfristen mit maximal zehn Wochen relativ kurz, doch Datenschützer und Bürgerrechtler sehen den Plan als weitere Etappe auf dem Weg zum Überwachungsstaat. Maas sah nicht glücklich aus, als er seinen Entwurf präsentierte.
Betreuungsgeld bei der SPD verhasst
Beispiel Betreuungsgeld. Die bei den Sozialdemokraten verhasste "Herdprämie" für Eltern, die ihr Kind lieber selbst zuhause betreuen als es in die Kita zu schicken, war ein Prestigeobjekt der CSU. Es wurde noch von der schwarz-gelben Bundesregierung vor der Wahl 2013 beschlossen. Für die SPD ist es schlicht eine Maßnahme gegen frühkindliche Bildung, die Mütter von der Berufstätigekeit fernhält und die Bildungsungerechtigkeit noch bezuschusst. Das sozialdemokratisch geführte Bundesland Hamburg klagte gegen das Gesetz.
Dumm nur: Inzwischen regiert in Berlin die SPD mit - und somit muss nun ausgerechnet die erklärte Betreuungsgeld-Gegnerin Manuela Schwesig (SPD) die Prämie vor dem Bundesverfassungsgericht verteidigen. Um einen peinlichen Auftritt zu vermeiden, schickte Schwesig ihren Staatssekretär Ralf Kleindiek (SPD) zur Verhandlung nach Karlsruhe; genau jenen Mann, der als Staatsrat in Hamburg die Verfassungsklage erst auf den Weg brachte. Dumm gelaufen für Kleindiek.
Werden die strittigen Projekte wieder kassiert?
Beispiel Pkw-Maut. Noch so ein Lieblingsprojekt der CSU, dem sogar die Bundeskanzlerin vor einem Millionenpublikum im Fernsehen eine Absage erteilte. Doch die Bayern stellten sich stur und wollten von der Maut für Ausländer, die deutsche Autofahrer nicht zusätzlich belasten sollen, nicht lassen. CSU-Verkehrsminister Alexander Dobrindt legte einen Entwurf nach dem anderen vor und taufte die Maut schließlich um in Infrastrukturabgabe; sie soll ab 2016 erhoben werden. Für die meisten in der SPD ist das Pkw-Maut-Projekt nichts als Murks. Doch sie müssen mitziehen.
Dass sich trotzdem in allen drei Punkten der Ärger der Sozialdemokraten in Grenzen hält und die Kritik eher routinemäßig vorgetragen wird, hat einen Grund: Viele in der Partei hoffen insgeheim, dass die drei strittigen Projekte wieder kassiert werden. Und tatsächlich stehen die Chancen für die SPD nicht schlecht.
Auch interessant
So haben die Verfassungsrichter mit der Art ihrer Fragen in der mündlichen Verhandlung erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Betreuungsgeldes erkennen lassen. Gut möglich, dass Karlsruhe das entsprechende Gesetz kippt.
Das Blatt für die SPD könnte sich wenden
Auch in Sachen Vorratsdatenspeicherung dürfte die letztliche Entscheidung bei den obersten Richtern liegen. Unter anderem der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) kündigte bereits an, vors Bundesverfassungsgericht zu ziehen. Das Verfassungsgericht sowie der Europäische Gerichtshof haben bereits frühere Regelungen zu Datenspeicherung auf Vorrat gekippt.
Und auch in Sachen Maut ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Die SPD hofft darauf, dass Dobrindts Ausländer-Maut, die deutsche Autofahrer faktisch von der Mehrbelastung ausnimmt, auf europäischer Bühne durchfällt. Die Chancen dafür stehen nach Ansicht vieler Experten nicht schlecht.
So könnte sich also das Blatt wenden für die SPD - aus bitteren Kompromissen könnten politische Siege erwachsen. Und die Union stünde als Verlierer da. Die Sozialdemokraten könnten in der - bei ihnen im Grunde ja ungeliebten - Großen Koalition neues Format gewinnen. Und vielleicht wird das dann ja auch vom Wähler honoriert.