Berlin. Die Vorratsdatenspeicherung gilt als unpopuläres Thema. Trotzdem verhandelt die Koalition über die Wiedereinführung der seit 2010 verbotenen Maßnahme.

Die Bundesregierung plant deshalb nun einen deutschen Alleingang für die systematische Speicherung von Telefon- und Internetdaten, schreibt der "Spiegel". Über das Streitthema gebe es direkte Gespräche zwischen Innenminister Thomas de Maizière (CDU) und Justizminister Heiko Maas (SPD).

Das von vielen Datenschützern kritisierte Sammeln von Verbindungsdaten ohne konkreten Anlass soll Fahndern vor allem bei der Jagd auf Terroristen und andere Schwerverbrecher helfen. Mögliche Fristen für die Dauer der Speicherung wurden bisher nicht genannt. Der "Spiegel" schreibt, ein möglicher Kompromiss mit Maas könnte darin bestehen, dass Berufsgeheimnisträger wie Ärzte, Anwälte oder Journalisten von der Erfassung ausgenommen werden. Ein Sprecher des Bundesjustizministeriums wollte sich zu der Frage, ob und wann ein Gesetzentwurf zu erwarten sei, nicht äußern.

Bundesverfassungsgericht kippte 2010 ein ähnliches Gesetz

Schleswig-Holsteins Datenschutzbeauftragter Thilo Weichert würde eine deutsche Lösung bei der Vorratsdatenspeicherung begrüßen - aber nur in eng abgesteckten Grenzen. "Die unsichere Situation, die wir über Jahre hin hatten, ist nicht tolerierbar, weil einige Telekommunikationsunternehmen offensichtlich länger Daten speichern als es notwendig ist", sagte Weichert der Deutschen Presse-Agentur. Er sei für eine "ganz kurze Frist", in der Daten gespeichert werden dürfen.

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Das Bundesverfassungsgericht hatte ein Gesetz, das eine Mindestspeicherzeit von sechs Monaten vorsah, 2010 verworfen. Der Europäische Gerichtshof kippte eine EU-Regelung zur Vorratsdatenspeicherung 2014. Ein neuer Vorschlag der EU-Kommission ist so bald nicht zu erwarten.

FDP warnt vor "Monster-Instrument"

Die FDP warnt vor einem deutschen Alleingang. Für die Verbrecherjagd brauche die Polizei bessere Ausstattung und kein "Monster-Instrument zum Erstellen von Persönlichkeits- und Bewegungsprofilen aller Bürger", sagte FDP-Generalsekretärin Nicola Beer. Die SPD knicke bei der Vorratsdatenspeicherung offenbar ein.

Der Grünen-Innenpolitiker Konstantin von Notz, erklärte, es gehe nicht um die Frage von Fristen, sondern um das "ob": "Käme die Vorratsdatenspeicherung der Kommunikationsdaten wäre der Damm gebrochen und der Weg in den Präventivstaat, der seine Bürger überwacht, weil sie zukünftig etwas Verbotenes machen könnten, eröffnet." Dies müsse verhindert werden.

Der AfD-Vorsitzende Bernd Lucke sagte, es müsse sehr sorgfältig geprüft werden, "ob die Vorratsdatenspeicherung über blanken Aktivismus hinaus auch eine ernsthafte Wirkung bei der Zerschlagung terroristischer Strukturen hat".

Wie der Gesetzentwurf aussehen könnte, an dem Union und SPD jetzt arbeiten sollen, ist noch nicht bekannt.

Um welche Daten geht es überhaupt? 

Telefonanbieter und Internetprovider sollen ohne konkreten Anlass für eine bestimmte Zeit alle Standort- und Kommunikationsdaten aufbewahren. Aufgezeichnet werden keine Inhalte, also zum Beispiel Telefongespräche oder Chats, sondern nur die sogenannten Metadaten. Diese geben Auskunft darüber, wer wann und von wo aus mit wem kommuniziert hat.

Was bringt das?

Einige Fachleute sind der Ansicht, dass dieses Anhäufen von Daten zur Verhinderung von Straftaten untauglich sei. Sie sagen: "Wenn ich mehr Heu auf einen Haufen werfe, wird es dadurch nicht leichter, eine darin versteckte Stecknadel zu finden." Wenn ein Verbrechen schon passiert ist, kann die Auswertung der Verbindungsdaten aber bei der Fahndung nach Komplizen oder Hintermännern helfen. Aus Sicht der Polizei hilft die Vorratsdatenspeicherung vor allem im Kampf gegen terroristische Netzwerke und Drogenbanden sowie im Bereich der Kinderpornografie.

Was bedeutet das konkret für den Kampf gegen Terrorismus?

Als Beispiel werden gerne die Terrorattacken auf die Redaktion des französischen Satiremagazins "Charlie Hebdo" und einen koscheren Supermarkt im vergangenen Januar angeführt. Gegner der Vorratsdatenspeicherung weisen darauf hin, dass die in Frankreich erlaubte Maßnahme diese Anschläge nicht verhindert hat. Die Befürworter halten dagegen, die Auswertung gespeicherter Kommunikationsdaten haben es den Ermittlern nach dem ersten Anschlag ermöglicht, Verbindungen zu anderen Extremisten schnell zu erkennen und mögliche Mitwisser zu identifizieren.

Wer ist für die Vorratsdatenspeicherung und wer ist dagegen?

Die Union ist generell dafür. Doch das Thema galt lange Zeit als unpopulär - vor allem nachdem Richter Bedenken gegen die alten deutschen und europäischen Regelungen zu Mindestspeicherzeiten angemeldet hatten. Unter dem Eindruck des Terrors von Paris hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärt, eine Neuregelung sei dringend geboten. Seither ist wieder Bewegung in die Debatte gekommen. Beim Koalitionspartner SPD ist das Bild gemischt. SPD-Innenminister Jäger (NRW) ist dafür. Parteichef Sigmar Gabriel zeigt sich "offen". Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hat seine Ablehnung mehrfach bekräftigt.

Wann kommt der Gesetzentwurf?

Das kann noch niemand sagen, aber die Wahrscheinlichkeit, dass bis zum Sommer zumindest erste Eckpunkte feststehen, ist hoch. Bislang strebte die Bundesregierung eine EU-einheitliche Regelung an, doch diese ist vorerst nicht in Sicht. Die Bundesregierung plant deshalb nun einen deutschen Alleingang.

Und was denkt die Opposition im Bundestag?

Die Linke und die Grünen haben große Vorbehalte gegen die Vorratsdatenspeicherung. Auch Datenschützer und unabhängige Netz-Aktivisten sind entsetzt über die Pläne der Regierung. (dpa)