Berlin. . Das Gesetz soll die medizinische Unterversorgung auf dem Land verhindern – aber viele Ärzte warnen: Das Gesetz schadet mehr als es hilft.
„Stellen Sie sich vor, Sie gehen zum Arzt – und er ist nicht mehr da.“ Mit solchen Slogans zieht die Ärzteschaft derzeit in den Kampf gegen ein Gesetz, das die flächendeckende Versorgung mit Ärzten verbessern soll – in den Augen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung aber mehr Schaden bringt als Nutzen. Daher der schrille Ton: „Wir arbeiten für Ihr Leben gern. Solange die Politik uns noch lässt“.
„Es ist Sinn und Zweck von Anzeigen-Kampagnen, dass sie Dinge zuspitzen“, sagt Peter Potthoff, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein. Und der Ton dürfte sich in den nächsten Monaten noch verschärfen: Anfang März kommt das Versorgungsstärkungsgesetz in den Bundestag – bereits im Juli soll es in Kraft treten.
Versorgungsengpass in 90 NRW-Gemeinden
Der Plan von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU): In überversorgten Gebieten sollen die Kassenärztlichen Vereinigungen Arztpraxen zum Marktpreis aufkaufen, wenn sie frei werden – etwa, weil der Inhaber sich zur Ruhe setzt. Gleichzeitig sollen sie in unterversorgten Regionen die dringend benötigten Praxisgründungen stärker unterstützen.
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Nach Angaben der Landesregierung droht in Nordrhein-Westfalen bereits in 90 ländlichen Gemeinden eine akute Gefährdung der hausärztlichen Versorgung. In Südwestfalen sind etliche Gemeinden von Altena über Balve und Olpe bis nach Bad Berleburg betroffen. Am Niederrhein sind besonders viele Gemeinden in den Kreisen Kleve und Wesel bedroht.
Ärzte: Statistik hat wenig mit Alltag zu tun
Dort, wo die Ärzte einer Fachrichtung dagegen den örtlichen Bedarf zu mehr als 110 Prozent abdecken, geht die Regierung dagegen von Überversorgung aus. Die Ärzteschaft kritisiert das scharf: Die Statistik habe oft wenig mit dem Praxisalltag zu tun: In Großstädten liege der tatsächliche Bedarf oft höher, weil die Ärzte eine Vielzahl von Patienten aus dem ländlichen Umland behandeln würden.
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„Allein in Köln pendeln rund 30 Prozent der Patienten von Außerhalb ein“, so Potthof. „Wie der Gesetzgeber mit weniger Ärzten auch noch die Wartezeiten auf Behandlungstermine verkürzen will, bleibt sein Geheimnis.“ Mit der 110-Prozent-Regel drohe allein im Bezirk Nordrhein, zudem auch Essen, Duisburg, Mülheim und Oberhausen gehören, 3000 der insgesamt rund 8300 Facharztstellen das Aus. Zusätzlich wären 250 der rund 6600 Hausarztsitze betroffen.
"Moderates Instrument"
Der Patientenbeauftragte der Bundesregierung verteidigt dagegen das Gesetz: „Die 110 Prozent sind vernünftig gewählt“, sagt Karl-Josef Laumann. Wer sich diesem „moderaten Instrument“ verweigere, „dem kann nicht die Verantwortung für die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung in unserem Land anvertraut werden“. Je höher die Grenze liegen würde, desto stumpfer werde das Instrument. „Das ginge zu Lasten der unterversorgten Regionen.“