Berlin/Düsseldorf. Bauministerin plant Wohngeld-Reform. Mieterbund hält das wegen hoher Wohnkosten für überfällig. In NRW profitieren mehr als 150.000 Haushalte.

Sieben Jahre nach der letzten Reform sollen 870.000 Haushalte ab 2016 mehr Wohngeld erhalten. Das kündigte Bauministerin Barbara Hendricks (SPD) am Freitag in Berlin an. Der Deutsche Mieterbund erklärte, die Erhöhung sei „überfällig“.

Hendricks berücksichtigt, dass die Bruttokaltmieten und die Inflation gestiegen sind. Seit 2009 haben sich auch die Warmmieten um neun Prozent erhöht. Im Durchschnitt werden die Wohngeldbeträge nun um 39 Prozent angehoben. Nutznießer sind nicht zuletzt 90.000 Haushalte, die bisher auf die Grundsicherung angewiesen sind. Die Ministerin sprach in „Bild“ von einem „Baustein für bezahlbares Wohnen.“ Es sollen insgesamt mehr Menschen Wohngeld erhalten, „und jeder einzelne mehr“, so Hendricks.

Wohngeldsystem ist kompliziert

Das System ist kompliziert und regional gestaffelt. Wo Mieten stark steigen, soll überdurchschnittlich mehr Wohngeld ausgezahlt werden. Städte und Kreise werden in sechs Mietenstufen gegliedert. In der obersten Stufe finden sich Stuttgart, München oder Hamburg. Gera ist in Stufe zwei, Dortmund und Duisburg in der Stufe drei, Braunschweig und Essen in der Stufe vier. Für sie hat sich - wie für die meisten Städte und Landkreise - nichts geändert. Aber 213 Städte wurden hochgestuft.

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Es geht um viele Faktoren. Das Ministerium nennt Fallbeispiele.

Beispiel I: Alleinerziehende in Essen, zwei Kinder (9 und 13). Brutto-Monatseinkommen 1400 Euro, Unterhalt für die Kinder 300 Euro, Kindergeld 368. Bruttokaltmiete: 520 Euro. Bisher betrug das Wohngeld 71, künftig 187 Euro.

Beispiel II: Vier-Personen-Haushalt mit zwei Kindern (3 und 4 Jahre) in Duisburg: Brutto-Monatseinkommen der Frau 1600 Euro, Ehemann ist arbeitslos ohne ALG1, Kindergeld 368 Euro, Bruttokaltmiete: 530 Euro. Bisher erhielt der Mann an ALG II 501 Euro. Künftig bekommt die Familie 280 Euro an Kinderzuschlag und 271 Euro an Wohngeld. ALG II entfällt. Aber im Ergebnis wird die Familie um 50 Euro besser gestellt.

Beispiel III: Rentnerin. Sie zahlt 510 Euro Kaltmiete, die Rente beträgt 950 Euro. Bisher bekommt sie 96 Euro Grundsicherung. Ab 2016 hat sie einen Wohngeldanspruch von 120 Euro und ist nicht mehr auf Grundsicherung angewiesen. Unterm Strich 24 Euro mehr.

„Eine Anpassung der Wohngeldes ist überfällig“, sagt Bernhard von Grünberg, Chef des Deutschen Mieterbundes NRW. „Es kann nicht angehen, dass es über Jahre keine Erhöhung gab.“ Der Mieterbund fordere schon lange eine Anpassung an tatsächliche Mietpreise und Heizkosten.

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„Immer mehr Menschen fallen aus der Wohngeldförderung heraus, weil sie zu arm werden und Sozialleistungen beantragen müssen“, beschreibt von Grünberg eine Tendenz. Paradox sei, dass trotz höherer Beschäftigung die Armut zunimmt. „Der Arbeitsmarkt hat sich dahingehend verändert, dass immer mehr schlecht entlohnt werden und das Geld trotz Vollzeitbeschäftigung nicht ausreicht“, erklärt von Grünberg. Hinzu kämen Rentner, die ihr geringes Einkommen aufstocken müssten. „Ein höheres Wohngeld würde verhindern, dass viele Menschen in Sozialleistungen abrutschen.“

Plus bei Mieten und Nebenkosten

NRW-Bauminister Michael Groschek begrüßte die Initiative seiner Berliner Kollegin: „Das Wohngeld ist seit 2009 nicht erhöht worden. Gleichzeitig sind vor allem in den Ballungsräumen die Mieten und die Nebenkosten massiv gestiegen. Es bedarf einer Anpassung an die veränderten Einkommens- und Wohnkostenverhältnisse.“ Neben der Mietpreisbremse sei die Wohngelderhöhung der nächste Schritt, um zu verhindern, dass Wohnen arm mache. Von der Erhöhung profitierten einkommensschwache Familien und Rentner.“

Laut der NRW-Bank schlugen die Mietsteigerungen bei Mietern von billigen Wohnungen besonders hart durch. Insgesamt stiegen die Mieten für Bestandswohnungen in NRW zwischen 2008 und 2013 um rund sechs Prozent.

Das Wohngeld ist seit mehr als 40 Jahren ein vom Bund und dem Land NRW jeweils zur Hälfte getragener Zuschuss zu den Wohnkosten. Seit 2005 sind die Empfänger von Arbeitslosengeld II, Grundsicherung im Alter und Sozialhilfe vom Wohngeldbezug ausgeschlossen. Wohngeld erhalten seitdem überwiegend Rentner, Kleinverdiener und Empfänger von Arbeitslosengeld I.