Berlin. . Die Statistik hinkt bei den Flüchtlingszahlen aus dem Kosovo hinterher. Zudem zeigt sich: Früher kamen Arme, jetzt Angehörige der Mittelschicht.

Ein Ende der Ausreisewelle aus dem Kosovo ist nicht in Sicht. Der Sog nach Deutschland ist viel stärker, als die offizielle Statistik der Asylanträge ahnen lässt. Für Januar listet sie 3630 Asylanträge auf. Das waren 85,6 Prozent mehr als im Vormonat. Eine andere Zahl, die intern vorliegt, treibt die Behörden noch mehr um: Bis diesen Donnerstag sind in diesem Jahr bereits 18.000 Kosovaren eingereist. Die Menschen sind längst da, auf Aufnahmelager vereilt und werden in den nächsten Tagen Asyl beantragen. Erst dann tauchen sie in der offiziellen Statistik auf.

In sechs Wochen 18.000 Menschen! Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2014 waren es "nur“ 8923 Flüchtlinge aus dem Kosovo. Erstmalig zogen die Zahlen im Oktober 2014 sprunghaft an. Seither kennen sie nur eine Richtung: nach oben. Früher kamen meist Vertreter von Minderheiten, etwa Roma. Heute sind es zunehmend Menschen aus der albanisch stämmigen Mehrheit im Kosovo, junge Leute, 25 bis 35 Jahre alt, auffällig viele aus der Mittelschicht.

Die Lage im Kosovo ist hoffnungslos

Auch aus Albanien und Mazedonien kommen mehr Menschen. Es sind Armutsflüchtlinge. Der Asylantrag ist ein Vorwand, die Anerkennungsquote liegt bei 0,3 Prozent. Sie reisen mit Hilfe von Schleusern, ihre Routen führen über Ungarn und Serbien. Ungarn ist EU-Mitglied, und für Serbien besteht keine Visapflicht.

Die Lage im Kosovo ist hoffnungslos, seit Monaten herrscht Stillstand. Ein Neuanfang im Ausland ist noch die verheißungsvollste Perspektive. Wie man das anstellt, ist in den Medien in Kosovo, in den sozialen Netzwerken und auf den Marktplätzen ein Thema. Viele verkaufen ihr Hab und Gut, um falsche Papiere zu erlangen oder um die Schleuserbanden zu bezahlen.

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Drei Gründe für Deutschland als Ausreise-Ziel

Deutschland ist aus drei Gründen das Zielland Nummer eins: Es hat ein liberaleres Asylrecht als andere, etwa Österreich und die Schweiz. Es gibt Aussicht auf Beschäftigung oder auf Sozialleistungen. Außerdem leben 180.000 Kosovaren hier; sie sind eine Anlaufadresse für Landsleute. Vier Bundesländer stehen im Fokus: Bayern, Baden-Württemberg und NRW, leicht dahinter Niedersachsen.

Die Bundesregierung will die Welle mit aller Macht brechen. Sie berät und hilft Ungarn sowie Serbien auch technisch bei der Grenzsicherung. Zusammen mit der Schweiz und Österreich wurden die Zug- und Straßenkontrollen verstärkt. Die EU-Polizeimission EULEX, die mit über 2000 Mann im Kosovo aktiv ist, wird verstärkt auf Schleuser angesetzt.

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Bund will Asylverfahren verkürzen

Zugleich ordnete Innenminister Thomas de Maizière (CDU) das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge an, die Asylanträge von Kosovaren vorrangig zu behandeln. Zusammen mit den Ländern will er den Druck weiter erhöhen. In einer Telefonkonferenz will der Bund dafür werben, dass auch Mazedonien, der Kosovo und Albanien zu „sicheren Herkunftsstaaten“ erklärt werden. Das würde helfen, die Verfahren zu verkürzen.

Die Länder sollen die Asylbewerber aus dem Kosovo auch nicht wie üblich auf die Kommunen verteilen. Die Menschen sollen in den Erstaufnahmelagern bleiben, weil es dort leichter fällt, die Verfahren zu beschleunigen: Von sechs Monaten auf 14 Tage. So ist jedenfalls das Ziel. Nicht zuletzt sollen die Länder mehr abschieben. Bundesweit gibt es 145.000 Ausreisepflichtige. Alle Maßnahmen laufen darauf hinaus, die Kosovaren zu entmutigen, weil sich andernfalls Zehntausende auf den Weg nach Deutschland machen.