Moskau. Die Zuspitzung im Ukraine-Konflikt wird zur Bewährungsprobe für Angela Merkel. Erstmals seit langer Zeit steht die Kanzlerin massiv unter Druck - und findet sich in einer ungewollten Doppel-Rolle wieder.
Es klang fast beschwörend, als die Bundeskanzlerin vor ihrem Flug zu Wladimir Putin nach Moskau erklärte, sie und Frankreichs Präsident Francois Hollande seien bei ihrer Ukraine-Mission "nicht als neutrale Vermittler" unterwegs. Tatsache ist aber: Merkel ist gezwungen, genauso, nämlich als Moderatorin zwischen Kiew und dem Kreml, zu agieren - auch wenn sie nach außen hin einen anderen Eindruck erwecken will.
Denn Wladimir Putin, wird sich in den Gesprächen mit Merkel, Hollande und dem Kiewer Präsidenten Petro Poroschenko kaum kompromissbereit zeigen, wenn er sich einer geschlossenen Dreier-Front gegenüber sieht. Vielmehr wäre die Gefahr groß, dass Russlands Präsident angesichts einer solchen Konstellation schnell wieder auf Konfrontationskurs umschwenken würde. Die Kanzlerin, obwohl selbst Verhandlunspartei, muss gleichzeitig Mittlerin sein.
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Für Merkel sind die Gespräche, die an diesem Sonntag mit einer Vierer-Telefonkonferenz fortgesetzt werden sollen, somit eine Gratwanderung, die zudem von den verbündeten Amerikanern misstrauisch beäugt wird. Aus Washington dringt immer offener Kritik an der deutschen und der europäischen Haltung im Ukraine-Konflikt über den Atlantik. Die derben Worte des republikanischen Senators John McCain an die Adresse der Kanzlerin ("Keine Ahnung") sind zwar in dieser Form ein Einzelfall - aber mit seiner Forderung nach Waffenlieferungen für Kiew steht McCain in den USA keinesfalls allein. Es sind nicht mehr nur die üblichen "Falken", die eine harte Haltung gegenüber Moskau anmahnen.
US-Waffenlieferungen an Ukraine mit unkalkulierbaren Folgen
Das erhöht noch einmal den Druck auf Merkel und Hollande, Putin zumindest eine zeitlich begrenzte Waffenruhe in der Ost-Ukraine abzuringen. Sollten die Gespräche mit Putin dagegen scheitern, dürften amerikanischen Waffenlieferungen an die Ukraine nur noch eine Frage der Zeit sein. Die Folgen für den Krieg im Osten des Landes wären unkalkulierbar - und ein Ausstrahlen des Konflikts auf andere Regionen könnte niemand mehr ausschließen. Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier sprach von einer "brandgefährlichen" Lage. Dies dürfte denn auch der eigentliche Grund für die überraschende deutsch-französische Friedensmission sein.
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Merkel hat sich nicht in diese Schlüsselrolle gedrängt, aber sie fällt ihr fast automatisch zu. Deutschland bildet, zusammen mit Frankreich, die tragende Säule im vereinigten Europa. Die Kanzlerin, mehrfach zur "mächtigsten Frau der Welt" gekürt, hat einen Draht zu Putin, mit dem sie auch ohne Dolmetscher reden kann. Merkel ließ den Kontakt nach Moskau auch dann nicht abreißen, wenn der Kremlchef mal wieder auf stur stellte und den Westens ein ums andere Mal brüskierte. Merkels Einsatz in vorderster Reihe ist, nun ja, alternativlos.
Für die Kanzlerin wird der Ukraine-Konflikt zu ihrer größten außenpolitischen Bewährungsprobe. Sie muss dem schwer berechenbaren Putin klar machen, dass er sich im Ukraine-Konflikt verrannt hat, Kiews Präsidenten Poroschenko von unüberlegten militärischen Aktionen abhalten und die nervösen Amerikaner davon überzeugen, dass Waffen für Kiew die Lage nur weiter verschärfen würden. Wahrlich keine leichte Aufgabe für eine Vermittlerin wider Willen.