Berlin. . Der griechische Finanzminister Varoufakis heizt den Streit um Reparationen und Zwangsanleihen nicht weiter an. Er forderte aber einen “Merkel-Plan“.
Kaum vereidigt, fuhr Alexis Tsipras nach Kesariani. Im Athener Vorort hatte die Wehrmacht Hunderte Widerstandskämpfer hingerichtet. Der Premier rief damit mehr als eine moralische Schuld in Erinnerung. Die Griechen wähnen Deutschland buchstäblich in ihrer Schuld. Es geht um alte Rechnungen. Dabei muss man in der historischen Aufarbeitung trennen zwischen Entschädigung, Reparationen und Zwangsanleihen.
Direkt nach dem Krieg wurde eine internationale Reparationsagentur beauftragt, in Deutschland Waren und Maschinen zu beschlagnahmen – auch zugunsten Griechenlands, wo bis 1949 ein Bürgerkrieg tobte. Was mit dem Material passierte, ist unklar. Es gibt Berichte aus 1953, die Griechen hätten einen Teil im Hamburger Hafen verrotten lassen.
1960 schloss Deutschland mit Griechenland – wie mit weiteren elf westlichen Regierungen – ein Entschädigungsabkommen in Höhe von 115 Millionen D-Mark. Der Vertrag hielt fest, dass damit die Wiedergutmachung von NS-Unrecht abschließend geregelt sei. Gedacht waren die Finanzmittel für individuelle Entschädigungen. Wieder ist nicht klar, wohin das Geld floss; es kam offensichtlich nicht den Opferfamilien zugute. Ein griechisches Problem.
„Das sollte man leise klären“
Eine völlig andere Frage ist, was aus den deutschen Schulden wurde, die sich laut Historikern auf 90 Milliarden Reichsmark addierten. Die Frage von Reparationen und der Altschulden wurde 1953 auf einer Konferenz in London vertagt – bis zu einer Wiedervereinigung. Die trat 1990 ein und wurde im Zwei-plus-Vier-Vertrag geregelt. Von Reparationen war dort aber keine Rede mehr. Nach Berliner Lesart hat die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa den Vertrag anerkannt, darunter auch Griechenland. Faktisch war es ein Schuldenschnitt.
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Ein Sonderfall sind die so genannten Zwangsanleihen. Das NS-Regime hatte die griechische Nationalbank 1942 zu einem Kredit von 476 Millionen Reichsmark gezwungen. Die Schuld sollte nach Kriegsende beglichen werden. Es ist eine Ironie, dass ausgerechnet ein deutsch-griechischer Historiker darauf gestoßen ist: Hagen Fleischer fand in den 70er-Jahren beim Bundesarchiv in Koblenz Akten aus US-Beständen, in denen der Zwangskredit vermerkt wurde.
Strittig ist erstmal der heutige Wert der Anleihe. Auf 8,25 Milliarden Euro kam der wissenschaftliche Dienst des Bundestags, mit elf Milliarden Euro wird sie in Griechenland taxiert. Strittig ist erst recht die Frage, ob die Griechen völkerrechtlich darauf Anspruch haben. Förmlich darauf verzichtet haben sie andererseits auch nie.
„Das sollte man leise klären“
Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ist der Meinung, dass die Frage 70 Jahre nach Kriegsende „ihre Berechtigung verloren hat“, wie sein Sprecher erklärte. Die Frage ist auch politisch delikat, weil viele andere Staaten auf dieselbe Idee kommen könnten. Zum Beispiel stellten russische Parlamentarier neue Reparations-Forderungen und argumentieren, die Sowjetunion habe nur mit der DDR ein Abkommen über den Verzicht auf Wiedergutmachung geschlossen, aber nicht mit der Bundesrepublik.
„Das sollte man leise klären“, sagt Linken-Fraktionsvize Dietmar Bartsch. Aber eben: klären. Nach Ansicht der Linken sollte man sich mit der Zwangsanleihe befassen.
Bei seinem Antrittsbesuch in Berlin verlor der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis öffentlich kein Wort darüber. Offiziell liegt auch keine Forderung aus Athen vor. In Griechenland wird aber darüber diskutiert und die deutsche Vergangenheit in Erinnerung gerufen, teils sehr subtil. So schlug Varoufakis vor seinem Berlin-Abstecher einen „Merkel-Plan“ vor – eine Anspielung auf den Marshall-Plan der USA, der Deutschland beim Wiederaufbau geholfen hat. Wie einst die junge Bundesrepublik würden die Griechen gern ihre Altschulden loswerden und neu starten.