Berlin. . Für die Bundesregierung startet 2015 kompliziert - die neue Konstellation in Athen entwickelt sich zur EU-Krise. Ein Interview mit Angela Merkel.

Die Regierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) steht gleich zu Beginn des Jahres vor schwierigen Entscheidungen, besonders in der Euro-Krise und in der Auseinandersetzung mit der neuen griechischen Regierung. Das Interview führten Matthias Iken und Christian Unger.

Frau Bundeskanzlerin, in der Euro-Krise verfolgen Sie die Strategie: Hilfe gegen Reformen. Nun wollen die Griechen nicht mehr sparen, und die EZB hilft mit billionenschweren Anleihen. Ist das das Ende der Strukturreform in Europa?

Angela Merkel: Nein. Die EU setzt die Reformpolitik fort. Die Europäische Zentralbank, die unabhängig ist, kann im Rahmen ihres Auftrags eigenständig Maßnahmen ergreifen, wie jetzt den Kauf der Staatsanleihen. Klar ist aber, dass das Geld der EZB eine konsequente Reformpolitik in den Euroländern nicht ersetzt. Im Gegenteil: Jedes Land arbeitet an seiner Wettbewerbsfähigkeit und für eine solide Haushaltspolitik ohne immer neue Schulden. Deutschland ist mit dem ausgeglichenen Haushalt auf dem richtigen Weg.

Dabei zählen Sie auch auf den neuen griechischen Regierungschef Tsipras? Er hat die Wahl gewonnen, weil er gegen die Reformpolitik gewettert hat.

Merkel: Europa wird auch weiterhin Solidarität für Griechenland wie auch andere besonders von der Krise betroffenen Länder zeigen, wenn diese Länder eigene Reform- und Sparanstrengungen unternehmen.

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Reformen werden in Athen schon zurückgedreht: Tausende Ex-Beamte kehren auf ihre Posten zurück, der Mindestlohn steigt.

Merkel: Wir, also Deutschland und die anderen europäischen Partner, warten jetzt erst einmal ab, mit welchem Konzept die neue griechische Regierung auf uns zukommen wird.

Wird es einen Schuldenschnitt für Griechenland geben?

Merkel: Es gab schon einen freiwilligen Verzicht der privaten Gläubiger, Griechenland wurden von den Banken bereits Milliarden erlassen. Einen weiteren Schuldenschnitt sehe ich nicht.

Politiker der neuen Koalition in Athen haben im Wahlkampf gegen Deutschland gehetzt: Vom „Vierten Reich der Deutschen“ war die Rede. Wie geht es Ihnen dabei?

Merkel: Ich habe dem neuen Regierungschef Alexis Tsipras gratuliert, wie ich es mit allen europäischen Kollegen halte, und wünsche ihm Kraft und Erfolg. Ich freue mich darauf, die Freundschaft unserer beiden Völker weiter stärken zu können.

Die Beleidigungen sind verziehen?

Merkel: Ich möchte, dass Griechenland Erfolg hat. Viele Menschen dort haben harte Zeiten hinter sich, das weiß ich. Und die meisten Griechen können nichts dafür, dass über Jahrzehnte so viel falsch gelaufen ist.

Nun fordert die Koalition in Athen als erstes höhere Entschädigungen für die NS-Verbrechen.

Merkel: Diese Frage stellt sich nicht. Ich arbeite für eine gute Zukunft unserer beider Länder und Europas.

"Griechenland soll dauerhaft Teil der Euro-Gemeinschaft bleiben" 

Könnte die Euro-Zone einen Ausstieg der Griechen verkraften?

Merkel: Das Ziel unserer Politik war und ist, dass Griechenland dauerhaft Teil der Euro-Gemeinschaft bleibt. Dafür leisten Griechenland und die europäischen Partner ihren Beitrag. Ansonsten warte ich jetzt ab, welche Konzepte die griechische Regierung vorlegen wird.

Sie fordern von Griechenland einen rigiden Einschnitt ins Sozialsystem – und in Deutschland führt Ihre Regierung Mindestlohn und Rente mit 63 ein. Wie passt das zusammen?

Merkel: Die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren fügt sich in das notwendige Konzept der Rente ab 67 ein, und für den Mindestlohn gibt es einen sehr vertretbaren Kompromiss. Darüber hinaus setzen wir viele Reformen um: Die Energiewende hin zu den erneuerbaren Energien, die Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die hohen Investitionen in Forschung und Bildung, die finanziellen Entlastungen der Kommunen, damit sie ihrerseits mehr für die Bildung tun können. Und möglich wird all dies, weil der Bund keine neuen Schulden mehr aufnimmt.

Mehr Langzeitarbeitslose zurück in die Erwerbstätigkeit führen

Die von Ihnen einst beschlossene Rente mit 67 wird nun durch die Rente nach 45 Beitragsjahren unterhöhlt.

Merkel: Die Rente nach 45 Beitragsjahren fügt sich in die Rente mit 67 ein. Uns ist es glücklicherweise in Deutschland gelungen, dass heute deutlich mehr ältere Menschen über 60 im Beruf stehen als noch vor einigen Jahren.

Sind die Reformen der Sozialsysteme also abgeschlossen?

Merkel: Es wird immer wieder nötig sein, die Sozialsysteme der gesellschaftlichen Entwicklung anzupassen. Wir haben zum Beispiel die große Aufgabe, mehr Langzeitarbeitslose zurück in die Erwerbstätigkeit zu führen. Auch im Pflegesystem haben wir erst eine erste Phase der Reform umgesetzt. Wir bauen eine Demografiereserve durch einen Teil des Pflegeversicherungsbeitrags auf. Und wir passen Schritt für Schritt die Leistungen in der Pflege den Bedürfnissen der Pflegebedürftigen und Pflegenden an.

Vor Monaten galt die Euro-Krise schon als überwunden, nun ist sie akut. Wie wollen Sie verhindern, dass die „Alternative für Deutschland“ von der Krise profitiert?

Merkel: Ich habe immer gesagt, dass wir die Krise zwar im Griff haben, dass sie aber noch nicht dauerhaft überwunden ist. Wir brauchen einen langen Atem. Es wird weiter darauf ankommen, das Prinzip Hilfe gegen eigene Reformanstrengungen durchzusetzen und die Ursachen der Krise zu beseitigen.

Ist die AfD aus Ihrer Sicht eine rechtspopulistische Partei?

Merkel: Sie ist auf jeden Fall eine Partei, mit deren Konzepten gegen die Euro-Reformpolitik Europa in der globalisierten Welt nicht erfolgreich bestehen könnte.