Brüssel. Die neue griechische Regierung irritiert die EU mit offener Widerspenstigkeit in der Wirtschafts- und Außenpolitik. Droht der Frontalzusammenstoß?

Wie unbekümmert die frisch installierte Regierung von Premier Alexis Tsipras schon auf den ersten Metern gegen Leitplanken europäischer Politik rempelte, hat auch wohlmeinende EU-Verantwortliche verdattert. Nicht wenige hatten ein gewisses Verständnis für die Stoßrichtung der linken Syriza-Partei aufgebracht. Jetzt ist das Befremden allgemein.

„Unsolidarisch!“ kommentierte Manfred Weber, CSU-Fraktionschef der Christdemokraten im Europa-Parlament. Dessen Präsident, SPD-Mann Martin Schulz, zeigte sich „entsetzt“, bevor er sich am Donnerstag nach Athen aufmachte, um mit dem neuen Regierungschef „Tacheles zu reden“ Aus einer freundlich gemeinten Antrittsvisite war unversehens ein Rüffel-Termin geworden.

Als sich der Wahlsieg Syrizas immer deutlicher abzeichnete, hatten die EU-Oberen die aus ihrer Sicht unerfreuliche Entwicklung kräftig herunter geredet. Tsipras sei ein verkappter Pragmatiker, der nur im Wahlkampf starke Sprüche klopfe. Dieser Optimismus erhielt einen ersten Knacks, als der Syriza-Chef sich als Koalitionsjunior ausgerechnet die dubiosen Rechtspopulisten der Anel-Partei aussuchte. Deren Vorsitzender Panos Kammenos schreckt vor antisemitischen Parolen nicht zurück.

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Demonstratives Ausscheren aus Russland-Politik der EU

Besetzung und erste Verlautbarungen der „Hufeisen-Koalition“ (EP-Chef Schulz) lassen die EU-Rechtgläubigen das Schlimmste befürchten: Privatisierungsstopp, Personalaufstockung des Beamtenapparats, neue Sozialleistungen, Forderung nach Schuldenerlass durch die internationalen Kreditgeber. Am meisten verstört hat die EU-Oberen aber das demonstrative Ausscheren aus der gemeinsamen Russland-Politik. Dass Tsipras gute Beziehungen zum Kreml pflegt und die westlichen Sanktionen für „schädlich“ hält, war bekannt. Aber in welch ruppiger Form er die wacklige Geschlossenheit der EU aufkündigen würde, war doch eine böse Überraschung.

Kaum aufgerückt in den exklusiven Zirkel der EU-Staats- und Regierungschefs, distanzierte sich der neue Kollege von einer gemeinsamen Erklärung, mit der die Gipfelrunde ihre Außenminister beauftragte, neue Sanktionen gegen Russland vorzubereiten. Er sei nicht korrekt eingebunden gewesen und im übrigen auch nicht einverstanden, ließ Tsipras wissen. „Das ist natürlich ganz schön heftig“, vermerkt ein Diplomat. „Kompromissfähigkeit müssen die noch lernen!“ Und Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier vermerkte: „Durch die neue Haltung der griechischen Regierung ist die Debatte nicht einfacher geworden.“

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Abwarten, lautet die Devise

Ist das in erster Linie Unerfahrenheit und Kraftmeierei? Oder doch wilde Entschlossenheit zum Alleingang? Abwarten, lautet die Devise. Am Donnerstag, vor den Brüsseler Beratungen der Außenminister über den weiteren Kurs bei den Russland-Sanktionen, nahm sich Steinmeier den neuen Kollegen Nikos Kotzius im Vier-Augen-Gespräch vor. Kotzius habe einen professionellen Eindruck gemacht, berichtete der Deutsche. Es sei zu „hoffen, dass er den notwendigen Spielraum bekommt“, europäische Positionen zu vertreten.

Die zu erreichen, sei schwer genug, besonders wenn man vorige Überzeugungen fahren lassen müsse, sagte Steinmeier in der Aussprache – ein Bekenntnis auch in eigener Sache. „Es war keine einfache Sitzung. Aber es ist gelungen, europäische Geschlossenheit hinzukriegen.“ Die bestehenden Konto- und Reisesperren gegen ukrainische Separatisten und ihre russischen Sponsoren werden um sechs Monate verlängert, weitere Namen sollen auf die schwarze Liste. Zusätzliche Wirtschaftssanktionen gegen Russland sollen vom Verhalten Moskaus bis zum EU-Gipfel Mitte Februar abhängen.

In der Nato halten die Griechen bislang die Füße ruhig. Auch im Bündnis hatte Generalsekretär Jens Stoltenberg Anfang der Woche die Russen wegen ihrer offenkundigen Unterstützung der ostukrainischen Separatisten schroff kritisiert, wie immer im Namen aller Alliierten. Die Griechen blieben still. „ Es gibt bei denen keine Anzeichen einer Kursänderung“, heißt es. An anderer Stelle bleiben sie kooperationsbereit: Mitte der Woche überstellte Athen einen 33-jährigen Algerier nach Belgien, wo er als mutmaßliches Mitglied der Terrorzelle von Verviers gesucht wurde.