Athen. . Die Beziehungen beider Länder sind eng. Russlands Präsident würde wohl gern Geld locker machen, um einen Keil in die EU zu treiben. Eine Analyse.
Alexis Tsipras spürt Gegenwind. Am Donnerstag der europäische Parlamentspräsident Martin Schultz, am Freitag Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem: Gleich zwei ranghohe EU-Politiker zeigten Tsipras diese Woche seine Grenzen auf. Die Botschaft: Nur wenn sich die neue Athener Regierung an die Reform- und Sparauflagen hält, kann Griechenland weitere Finanzhilfen erwarten. Noch besteht Tsipras auf einem Schuldenschnitt. Sein Finanzminister Gianis Varoufakis will die ausstehen EU-Hilfskredite ausschlagen. Doch Griechenland braucht dringend Geld. Spätestens im Sommer, wenn Athen 8,8 Milliarden Euro für die Refinanzierung fälliger Anleihen, die Tilgung bilateraler Kredite und Zinsen aufbringen muss, droht dem Land die Insolvenz.
Auf der Suche nach Geldquellen blickt Tsipras jetzt offenbar nach Osten. Seit Tagen wird in Athen über eine Annäherung der neuen Regierung an Russland spekuliert. Tsipras hatte schon als Oppositionsführer eine solche Neuausrichtung ins Spiel gebracht. Im Mai 2014 besuchte er Moskau und übte scharfe Kritik an den EU-Sanktionen gegen Russland.
Auch interessant
Noch hat Tsipras Moskau nicht um Hilfe gebeten, aber der russische Finanzminister Anton Siluanow beeilte sich zu versichern, man werde ein Hilfeersuchen aus Athen „definitiv prüfen“, und dabei „alle Faktoren der bilateralen Beziehungen zwischen Russland und Griechenland berücksichtigen.“
Religiöse, historische und wirtschaftliche Beziehungen
Griechenlands Außenminister Nikos Kotzias bereitete bereits den Boden. Nach dem EU-Außenministertreffen brüstete sich der griechische Chefdiplomat am Donnerstag, er habe zwei Stunden dafür „gekämpft“, dass der Ministerrat keine neuen Sanktionen gegen Russland verhänge. Er habe seinen Kollegen klar gemacht, dass Sanktionen „keine Resultate haben“, sagte Kotzias und erklärte, die entsprechende Passage, die neue Maßnahmen vorsah, sei aus dem Kommuniqué entfernt worden.
Griechen und Russen haben traditionell enge Beziehungen. Sie wurzeln nicht zuletzt in der gemeinsamen orthodoxen Religion. Die Russen standen den Griechen Anfang des 19. Jahrhunderts im Befreiungskrieg gegen die Türken bei. Griechenlands erstes Staatsoberhaupt nach der Befreiung, Ioannis Kapodistrias, war zuvor Staatssekretär im russischen Außenministerium und Russlands Bevollmächtigter auf dem Wiener Kongress. Seit einigen Jahren tragen russische Urlauber zum Tourismusboom in Griechenland bei. Auch für die griechische Landwirtschaft war Russland ein wichtiger Markt. 50 Prozent aller Erdbeer-Exporte und ein Viertel der Pfirsich-Ausfuhren gingen nach dort – bis Moskau auf die EU-Sanktionen mit einem Einfuhrstopp reagierte.
Schulung in der Sowjetunion
Wie Tsipras stammen viele der führenden Politiker des Linksbündnisses Syriza aus der spätstalinistischen Kommunistischen Partei Griechenlands, wurden in der Sowjetunion geschult und haben enge Kontakte nach Moskau. Auch Panos Kammenos, Chef der ultranationalen Unabhängigen Griechen und Tsipras‘ Koalitionspartner, ist ein Freund Russlands. Bei seinem Amtsantritt als Verteidigungsminister unterstrich Kammenos, wie wichtig es sei, dass Griechenland russische Waffen kaufe.
Wenn Tsipras merkt, dass er in Brüssel mit seiner Forderung nach einem Schuldenerlass nicht durchkommt, könnte er versuchen, einen Überbrückungskredit Russlands zu bekommen. Russland steckt zwar wegen des Ölpreisverfalls und der Sanktionen selbst in finanziellen Schwierigkeiten, aber die zehn bis zwölf Milliarden Euro, die Griechenland zumindest dieses Jahr über Wasser halten könnten, würde Wladimir Putin wohl gern locker machen, wenn er damit einen Keil in die EU treiben kann. Vielleicht würde er den Griechen auch entgegenkommen und ihre Agrarprodukte wieder importieren. Bekäme Tsipras tatsächlich Geld aus Moskau, müsste er dafür außer Zinsen einen sehr hohen politischen Preis bezahlen – die Isolation seines Landes in der EU.