Essen. . Alexis Tsipras hat die Wahlen in Griechenland gewonnen. Wird er dem Ruf der NS-Opferverbände folgen und von Deutschland 500 Milliarden Euro an Wiedergutmachung fordern?

„Nach Rückkunft in Distomo wurde die gesamte im Ort verbliebene Bevölkerung ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht umgebracht. Insgesamt wurden etwa 218 Menschen ermordet.“ So schilderte das Landgericht Bonn 1997 das Blutbad des 10. Juni 1944, das die 4. SS-Panzergrenadierdivision in dem mittelgriechischen Dorf am Fuß der Parnassberge anrichtete.

Distomo und Kesariani in Griechenland, Civitella und die Ardeatinischen Höhlen in Italien. Es gibt in Südeuropa Dutzende Ortschaften, in denen die Bewohner bei einer Nennung Deutschlands nicht nur an Schulden denken. Sondern auch an Schuld.

Der große Krieg ist 70 Jahre her. Die Erinnerungen an die Massaker von SS und Wehrmacht aber sind dort gegenwärtig. Sie fließen ein in die Debatten über den Euro, den Kurs Europas und die von Berlin unterstützten Sparauflagen. Alexis Tsipras, der neue Ministerpräsident einer Links-Rechts-Regierung in Athen, hat dies im Wahlkampf so gesagt: „Schluss mit den Höflichkeiten, Frau Merkel. Die Stunde der Abrechnung ist gekommen.“

115 Millionen D-Mark "Globalzahlungen" aus Deutschland

Hat Deutschland nicht längst gezahlt? Hat es nie Wiedergutmachungen für das Unrecht gegeben, das die nationalsozialistischen Besatzer der Zivilbevölkerung angetan haben? Griechen und Italiener stellen diese bohrenden Fragen immer wieder.

Tatsächlich sind nach dem Krieg im Zug eines Abkommens mit zwölf ehemaligen Gegnern an beide Länder „Globalzahlungen“ aus der deutschen Steuerkasse geflossen: 40 Millionen D-Mark an Italien für „NS-typisches Unrecht“, 115 Millionen an Griechenland. Experten sprechen spöttisch von einer „Flatrate“ für die erlittene Gewalt – wobei einige Historiker sogar bezweifeln, dass die nachgewiesene Auszahlung je bei den Griechen angekommen ist. Hinzu addierten sich in Einzelfällen Überweisungen an Nachkommen der Opfer.

Die insgesamt lächerlich geringen Summen lösen von Zeit zu Zeit Nachforderungen aus, die sich im Fall der Griechen zunächst bis zu 160 Milliarden Euro beliefen. Daraus wurden später 500 Milliarden, weil eine Expertenkommission des Nationalrats den Deutschen den Diebstahl von 8000 Kunstwerken und die „Abzweigung“ griechischen Eigentums zum Unterhalt des deutschen Afrikakorps ankreidete. Griechische Familien haben auch versucht, am italienischen Comer See die Villa Vigoni beschlagnahmen zu lassen, die deutsches Staatseigentum ist.

Deutschland sieht alle Ansprüche getilgt

Doch alle juristischen Versuche sind bisher gescheitert, Deutschland zu höheren Entschädigungszahlungen heranzuziehen. Berlin pocht darauf, dass mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag zur deutschen Einheit, der von Rom wie von Athen 1990 anerkannt wurde, alle Ansprüche getilgt sind.

2012 bestätigte dies auch der Internationale Schiedsgerichtshof in Den Haag. Er urteilte, dass die Bundesrepublik den Opfern von Nazi-Verbrechen keine individuellen Entschädigungen zahlen muss. Anderslautende Urteile italienischer Richter widersprächen dem Völkerrecht. Nur zwischen Regierungen könne verhandelt werden, ob solche Geldleistungen fließen.

Passiert das jetzt, nach Tsipras Sieg an der Wahlurne?