Moskau. Ein Gericht in Moskau hat die Brüder Nawalny wegen Untreue verurteilt. Alexej Nawalny wirft dem Gericht ein „niederträchtiges“ Urteil und dem Staat „Geiselnahme“ vor.

Ein schlimmeres Urteil hätte sich Alexej Nawalny als Russlands bedeutender Gegner von Kremlchef Wladimir Putin kaum vorstellen können. Nicht er, der 38-jährige Oppositionelle mit Ambitionen auf das Präsidentenamt, muss wegen Veruntreuung ins Gefängnis, sondern sein Bruder Oleg. „Schämen Sie sich nicht? Wofür lassen Sie ihn einsitzen? Um mich noch mehr zu bestrafen?“, ruft Nawalny in Moskau vor Gericht der Richterin Jelena Korobtschenko zu. Das sei das „niederträchtigste“ aller denkbaren Urteile.

Am Abend wurde Alexej Nawalny festgenommen: Er war trotz seines Hausarrests zu einer Demonstration seiner Anhänger gefahren. Noch vor seiner Ankunft am Ort der Kundgebung in Moskau nahm die Polizei den Oppositionspolitiker fest, wie russische Medien am Dienstag berichteten. "Hausarrest habe ich, aber heute will ich unbedingt bei euch sein, deswegen fahre ich", schrieb Nawalny zuvor auf Twitter.

Nawalny steht wegen Verstößen gegen Bewährungsauflagen unter Arrest. Die Behörden haben den Protest unweit des Kremls nicht genehmigt. Ein Großaufgebot der Polizei war im Einsatz. Insgesamt nahmen die Sicherheitskräfte mehr als 240 Menschen bei der nicht genehmigten Protestaktion im Herzen Moskaus fest. Die Polizei sprach von insgesamt 1500 Demonstranten, Beobachter berichteten von wenigen Tausend. Angekündigt hatten sich mehr als 18 000. Bei klirrender Kälte und minus 15 Grad Celsius skandierten die Teilnehmer "Russland ohne Putin" und "Freiheit für Nawalny". Nach gut zweieinhalb Stunden trieben die Polizeikräfte die Menge auseinander. Die Polizei brachte Nawalny nach seiner Festnahme zurück in seine Wohnung.

Nawalnys Ziel, 2018 bei der Wahl zum Kreml-Chef gegen Putin anzutreten, wird damit noch unwahrscheinlicher als bisher schon. Für den populären Anti-Korruptionskämpfer, schon einmal wegen Untreue zu fünf Jahren Haft auf Bewährung verurteilt, ändert sich zunächst nichts: Seit Februar 2014 sitzt der Familienvater im Hausarrest und bleibt dort.

Seit Jahren enthüllt Nawalny Korruption

Sein Bruder Oleg aber wurde in Handschellen aus dem Gerichtssaal geführt. Gegen ihn verhängte das Gericht dreieinhalb Jahre Lagerhaft. Nawalny und sein Bruder Oleg hätten als Unternehmer Gelder einer französischen Firma unterschlagen und über ein Firmengeflecht legalisiert, hieß es im Urteil.

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Seit Jahren enthüllt Nawalny zum Ärger der Mächtigen Schmiergeldzahlungen und Vetternwirtschaft in staatlichen Institutionen, deckt die Veruntreuung öffentlicher Gelder auf oder nennt Funktionäre, die sich persönlich bereichern. Nawalny ist einer der wenigen, die in der Rohstoffmacht versuchen, Licht in die undurchsichtigen Milliardengeschäfte im Staatssektor zu bringen. Dass dies in Russland gefährlich sein kann, ist ihm bewusst.

Die Angst des Kreml vor aktiven Bürgern

2013 hatte Kreml-Chef Wladimir Putin den früheren Öl-Milliardär Michail Chodorkowski nach langer Lagerhaft begnadigt und in die Schweiz entlassen. 2009 starb der kremlkritische Anwalt und Wirtschaftsprüfer Sergej Magnitski im Gefängnis. „Es ist klar, dass der Kreml Angst hat vor aktiven Bürgern, denen nichts gleichgültig ist“, sagt Chodorkowski jetzt über das Urteil gegen Nawalny.

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Der gibt sich trotz des Drucks unerschrocken. Dass sein Bruder zur „Geisel des Regimes“ wird, wie die Opposition es formuliert, erinnert viele in Moskau an Sowjetzeiten, als der KGB Angst und Schrecken verbreitete. Über Familienangehörige den Widerstand von Dissidenten zu brechen – das hatte bei den Kommunisten Tradition. Auch dem früheren KGB-Offizier und zeitweiligen FSB-Geheimdienstchef Putin traut man solches Denken zu.

Jagd auf die Kritiker

Zwar beteuerte Präsident Putin erst Mitte Dezember wieder, Andersdenkende würden keiner öffentlichen „Hetzjagd“ ausgesetzt. Viele Russen sehen das anders: Kremlkritische Internetseiten sind gesperrt, soziale Netzwerke stehen unter Beobachtung. Trotzdem rief die rege Bloggersphäre nach dem Urteil zu Demonstrationen für Nawalny auf. Die Moskauer Stadtverwaltung warnte prompt: Nicht genehmigte Aktionen würden von Sicherheitskräften zügig „unterbunden“. (dpa)