Havanna. . Seit Raúl Castro Kuba führt, können Handwerker, Händler und Gastronomen eigene Betriebe eröffnen. Doch bis heute ist der Dollar die heimliche Leitwährung in der sozialistischen Republik. Dissidenten müssen mit Haft rechnen.
Die Annäherung zwischen Kuba und den USA gilt als Meilenstein. Nach mehr als 50 Jahren wollen die beiden ideologischen Gegner wieder diplomatische Beziehungen aufnehmen. Das seit 1962 geltende US-Embargo soll aber bleiben. Und das, sagte der kubanische Staatschef Raúl Castro kürzlich vor dem Parlament, sei das Hauptproblem. Ein Ortsbesuch.
Stuck zerbröselt unter blauem Himmel neben luxussanierten Einkaufsfassaden. Chevrolets aus den 1950er Jahren röhren durch die Altstadt. Die Bands in den Cafés spielen den Son Cubano, Restaurantbesitzer werben auf der Straße um Touristen, die mit Devisen zahlen.
Es geht turbulent zu in Havanna. Mehr als zwei der insgesamt gut elf Millionen Kubaner leben in der Hauptstadt der Karibik-Insel. Raúl Castro, der 2011 die Amtsgeschäfte des schwer erkrankten Bruders Fidel übernahm, lässt eine vorsichtige wirtschaftliche Öffnung zu. Privatleute können heute Restaurants führen, Geschäfte eröffnen oder Handwerksbetriebe gründen. Und das, sagt der Niederländer und Unesco-Experte Fernando Brugman Álvarez de Toledo in der üppigen Villa, in der seine Organisation residiert, „hebt die Stimmung im Land“.
Eine neue Ungleichheit
Doch nur Kubaner, die den Peso Convertible (CUC) haben, die an den US-Dollar gekoppelte internationale Zweitwährung, profitieren davon. Können in den neuen Bars und Restaurants sitzen, können westliche Turnschuhe und Handtaschen kaufen oder Fisch, Fleisch, Obst und Gemüse aus Importen.
Für alle anderen ist das Leben nach wie vor karg. Sie müssen mit Bezugsscheinen und dem kubanischen Peso (CUP), der nationalen Währung für die staatlich subventionierten Waren, auskommen. Und sie finden in mehr oder weniger leeren Supermarktregalen das vor, was es gerade gibt -- Reis, Bohnen und Öl.
Durch die neuen Geschäfte, die Macht der Devisen sei eine neue Ungleichheit entstanden, die „mit dem Gleichheits-Ethos der Revolution nicht vereinbar ist“, sagt Bert Hoffmann vom Hamburger Giga-Institute of Global and Area Studies dieser Zeitung. Die Folge sei eine neue Geschäftstüchtigkeit – oder vielmehr Kleinkorruption – sowie eine gewisse Frustration derjenigen, die nicht an Devisen herankommen. „Früher war Lehrer ein Heldenberuf, heute bessern viele ihr karges Einkommen mit den Zuwendungen der Eltern auf.“ Ähnliches passiere im Gesundheitssektor.
Während viele abgehängt bleiben, belebt die neue Elite die sanierten Straßenzüge der Altstadt mit ihren Boutiquen, Restaurants und Souvenirläden. An jeder Ecke stellen Künstler ihre Bilder aus, Schwule und Transvestiten laufen durch die Straßen – dabei hatte Fidel Castro Homosexuelle jahrzehntelang als „Konterrevolutionäre“ verfolgt.
Reformen, Öffnung, lockere Stimmung auf der einen, Unzufriedenheit auf der anderen Seite – sind das die Vorzeichen eines Regime-, eines Systemwechsels?
Altes Feindbild verliert an Konturen
Wer sich auskennt im Land, wägt ab. Für die Ära nach den alten Castro-Brüdern Fidel und Raúl werde es wohl „einen gemanagten Übergang geben“, sagt Bert Hoffmann. Der Kuba-Experte erwartet, dass Raúl Castro irgendwann einen blassen Nachfolger installiert, bei dem man lange nicht wisse, ob er die Macht innehat oder noch Raúl.
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Ähnlich äußern sich die Offiziellen vor Ort, die im Hintergrund bleiben möchten. Auch die Dissidentin Berta Soler, die sich konspirativ mit Journalisten aus Deutschland trifft, prognostiziert: „In 15 Jahren gibt es die Diktatur noch immer.“
Durch die angekündigte Entspannung mit den USA hat dieser Pessimismus aber Risse bekommen. Das alte Feindbild verliere an Konturen, sagt Kuba-Experte Hoffmann, und das könne dazu führen, „dass die Kubaner auch mehr Entspannung im Innern verlangen“ – und damit mehr Mitsprache, mehr Freiräume und den Internetzugang für alle.
Sonntags-Demo der ,Weißen Damen’
Doch womöglich sind die Menschen auf der Suche nach ein paar Dollar für ein etwas besseres Leben zu beschäftigt, um das System in Frage zu stellen. Obendrein greift der Staat, dessen Rückgrat seit jeher das Militär ist, gegenüber Systemkritikern nach wie vor hart durch. Spontane Verhaftungen, wochen- monate-, sogar jahrelange Gefängnisaufenthalte ohne Urteil seien an der Tagesordnung, sagt Dissidentin Berta Soler.
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Sie ist eine der 300 „Damen in Weiß“, die jeden Sonntag friedlich für die Freilassung der aus politischen Gründen inhaftierten Ehemänner und Söhne demonstrieren. Die kubanische Bevölkerung „hat große Sympathie für uns, aber die Menschen reden nicht darüber“.
Sie haben Angst vor Gewalt, erklärt Bert Hoffmann, Angst vor einem radikalen Wandel. Zu Recht, wie sich Tage später zeigt: Am 10. Dezember nimmt die Polizei Berta Soler und 90 ihrer Mitstreiterinnen vorübergehend fest – just am Tag der internationalen Menschenrechte.
Ob die Castro-Brüder noch lange leben oder nicht, sagt Bert Hoffmann: „Da steht kein sofortiger Regimewechsel ins Haus. Aber die Veränderung der außenpolitischen Koordinaten macht auch innenpolitisch sehr viel mehr denkbar als zuvor.“