Dresden. . Viele Einwohner Dresdens fürchten wegen der “Pegida“-Demonstrationen um den guten Ruf der Elbmetropole. Die Welt schaut irritiert auf die Proteste.
Vergangenen Montag waren es 15 000. Wie viele Demonstranten es an diesem Montag sein werden, wagt niemand zu sagen. Seit neun Wochen wächst die Pegida-Bewegung, und das ganze Land schaut auf Dresden – einige mit Sympathie für die Protestmärsche, viele aber vor allem mit Sorge. Und die Dresdner selbst? Wie leben sie mit Pegida? Eine vorweihnachtliche Spurensuche in einer Stadt, die dabei ist, ihren guten Ruf zu verlieren.
„Habt ihr jetzt was gegen Ausländer?“ Katharina Michael hört neuerdings öfter solche Fragen. Die 39-jährige Stadtführerin steht an diesem Morgen mit einer Gruppe muslimischer Studentinnen aus Ägypten im barocken Zwinger. Sie führt viele ausländische Gruppen, und die Sache mit Pegida hat sich längst auch international herum gesprochen. Die Fremdenführerin macht sich Sorgen – nicht nur um den Ruf ihrer Stadt, sondern auch um das Klima. „Viele, die sich bislang nicht getraut haben, gegen Ausländer zu hetzen, bekommen durch Pegida Aufwind.“
Jedes Jahr zwei Millionen Touristen in Dresden
Zwei Millionen Besucher kommen jedes Jahr nach Dresden. Das kriegszerstörte Elbflorenz ist wiederauferstanden, Striezelmarkt und Erzgebirgskunst ziehen auch im Dezember noch die Touristen aus aller Welt an. Michaels Kollegin Seema Prakash begleitet vor allem englischsprachige Gruppen. Die Inderin kam vor fünf Jahren nach Dresden, durfte nicht in ihrem Beruf als Psychologin arbeiten, sattelte schließlich auf Fremdenführer um.
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Letzten Montag ist sie zum Sternmarsch gegen Pegida gegangen: „Wir müssen dagegen kämpfen“, sagt die 52-Jährige. Nur wie? „Mit Zahlen und Fakten“, sagt ihr Kollege Robert Noack. Doch der Dresdner weiß auch: Die neuen Montagsdemonstranten halten die meisten Zahlen eh für gefälscht.
„Ohnmächtig“, fühlt sich deswegen die 26-jährige Caro, die auf dem Weihnachtsmarkt vor der Frauenkirche Kaffee mit Schuss verkauft. „Die Leute lassen ja gar nicht mit sich reden.“ Auch die offiziellen Stadtwerber machen sich Sorgen: Mancher Gast erkundigt sich inzwischen erstmal nach der Lage, bevor er sich in diesen Tagen nach Dresden auf den Weg macht. Die „Montagsereignisse“, wie Marketingchefin Bettina Bunge sagt, stehen im krassen Widerspruch zum weltoffenen Image, das die Stadt nach außen pflegt.
Im Inneren gärt es unterdessen weiter. Zum Beispiel bei der Mittfünfzigerin, die Tickets für die Stadtrundfahrten verkauft. „Ich habe nichts gegen Ausländer“, sagt sie. Dann kommt das „aber“. Und sie erzählt von den Nordafrikanern, die ein paar Straßen weiter Drogen verkauften. „Was wollen die hier? Die haben zu Hause keinen Krieg.“ Oder die Flüchtlinge im „Asylantenheim“, direkt in ihrer Nachbarschaft. „Ich stehe hier jeden Tag acht Stunden bei Wind und Wetter - und die?“ Gut, räumt sie ein. „Sie wollen vielleicht arbeiten und dürfen nicht. Da muss man endlich mal die Gesetze ändern.“ Ob sie mitlaufen würde bei Pegida? „Nein“, winkt sie ab. „Das ist mir alles zu kompliziert.“
Die Menschen haben echte Sorgen
Auch Fräulein Kerstin hat sich Gedanken gemacht über Pegida. Sie schäme sich dafür. „Aber man kann nicht sagen: Die sind blöd. Die sind nicht alle blöd. Man muss das ernst nehmen, damit es nicht vollkommen eskaliert.“ Kerstin Klauer bietet seit 15 Jahren als „Fräulein Kerstin“ alternative Stadtführungen an. Viele Sachsen, die jetzt montags zu den Pegida-Märschen in die Landeshauptstadt kämen, hätten echte Sorgen: Die Öffnung der nahen Grenzen nach Polen und Tschechien habe ihr Leben verändert, die grenzüberschreitende Kriminalität wachse. „Die Asyldebatte ist nur der Auslöser. Der Boden war längst bereitet. Die Politik hat nicht auf die Sorgen reagiert.“
Gegner blockieren Pegida-Demo
An diesem Wochenende ist viel los in der Stadt. Dynamo Dresden, bekannt für seine rechtsradikalen Hooligans, spielt gegen den VfL Osnabrück, die Weihnachtsmärkte brummen, der weltberühmte Kreuzchor singt – und am Montag singt Pegida. Zwei Tage vor Heiligabend wollen sie wieder auf die Straße gehen und diesmal Weihnachtslieder singen, hat Pegida-Wortführer Lutz Bachmann angekündigt. Um das Abendland zu verteidigen?
Kreuzkantor Roderich Kreile, Leiter des traditionsreichen Dresdner Knabenchors, hält dagegen: Wenn Pegida Weihnachtslieder singen wolle, müsste das ja „theoretisch“ bei den Demonstranten zu einem Umdenken führen - und sie sensibel machen für die Anliegen der Flüchtlinge und Asylsuchenden, für die Würde aller Menschen. „Alles andere wäre bigott.“
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Kreile unterstützt das Bündnis der Dresdner Kulturszene für eine weltoffene Stadt: Staatsschauspiel, Semperoper, Festspielhaus Hellerau - sie sind alle dabei. Sie wollen die Definition des Abendlandes nicht Pegida überlassen. Sie haben Anzeigen geschaltet und Protestbanner vor ihre Häuser gehängt. Und sie schauen besorgt auf den 13. Februar – jenen Tag, an dem die Dresdner an die Zerstörung von 1945 erinnern, und der viele Jahre lang von Neonazis zu Aufmärschen missbraucht wurde. „Wir haben die Befürchtung, dass Pegida das alles wiederbelebt“, sagt Bündnis-Sprecher Dieter Jaenicke, „und dann eine Qualität bekommt, die einem wirklich Angst machen kann.“